100 Kilometer Biel

Fr./Sa., 11./12. Juni 2004

Mein Bericht über meinen ersten Lauf in Biel vergangenes Jahr endete mit folgendem Fazit: "Biel ist ein Erlebnis, der Lauf in der Nacht, die Strecke, die Landschaft, die Zuschauer, die Stimmung, die Anstrengung - das muss nochmal gemacht werden."

In der Tat, der Lauf vergangenes Jahr war wunderschön, unvergesslich. Das laue Wetter in der Nacht, Vollmond, tolle Stimmung in den Dörfern, das lange Laufen in der Stille, das Heraufdämmern des Morgens, dann die brutale Hitze bis zum Zieleinlauf, mein Einbruck ab km 82 - all das wird mir unvergesslich bleiben und führte zwangsläufig zu einer Wiederholung in diesem Jahr.

Ich hatte dieses Jahr noch besser trainiert, brachte drei Wochen vor Biel die 328 Kilometer des Isarlaufes einigermaßen gut hinter mich, trainierte danach nochmals ernsthaft und war mir sicher, dass ich dieses Jahr meine Zeit verbessern konnte, eventuell würde ich sogar die 12 Stunden unterbieten können.

Wie vergangenes Jahr mussteAngelika am Freitag noch arbeiten, so dass wir kurz nach ihrem Arbeitsschluss gegen 14 Uhr losfuhren. Das Wetter war leider nicht so schön wie im Jahr zuvor, nicht kalt, aber immer wieder regnete es unterwegs. Wir kamen rechtzeitig an, holten die Startunterlagen, aßen unsere Nudeln und unterhielten uns noch ein wenig und gingen dann zum Auto, um uns umzuziehen.

Jürgen, Hanne, Angelika
Hans erzählt
Hans erzählt
umziehen
Bernhard erzählt
Jürgen, Hanne, Angelika
Hans erzählt von seinen vielen Läufen
 
Bernhard in voller Aufmachung

Zwar hatte der Regen aufgehört, auch war es nicht kalt, aber auf den Rasen legen und noch etwas ausruhen, dazu war es doch noch zu nass. Wir schlenderten herum und wie zu erwarten, traf ich einige Bekannte. Natürlich auch Bernhard, der sich wieder ganz vom Isarlauf erholt hatte und die Woche zuvor schon wieder einen Marathon gelaufen war (Liechtenstein).

Immer noch hatten wir genügend Zeit, es war unangenehm kühl und daher setzten wir uns noch ins Zelt, um dort bis zum Start zu warten. Harald mit Familie und Jürgen kamen noch dazu. Und dann war es soweit, wir gingen in den Startbereich.

Welch eine Nacht!

Harald, Jürgen Hanne und ichHans und RainerGut 1.600 Läuferinnen und Läufer warteten erwartungsfroh oder auch sorgenvoll auf den Start. Angelika hatte sich weiter vorne eingeordnet und ich stand mit Jürgen, Hanne und Harald im Mittelfeld. Um uns herum noch einige bekannte Gesichter, die ich vom Isarlauf her kannte. Rainer war vergangenes Jahr knapp unter 13 Stunden gelaufen und wollte dieses Jahr, wie ich, etwas schneller sein. Er war bereits beim Isarlauf in blendender Verfassung, so dass ich ihm durchaus zutraute, deutlich unter 12 Stunden zu kommen. Auch Hans hatte sich in etwa diese Zeit vorgenommen. Ich wollte mit Harald und Jürgen laufen, die etwa 12 Stunden angepeilt hatten, Hanne wollte nur durchkommen.

Noch einige Durchsagen, die Startzeit 22 Uhr rückte immer näher und pünktlich fiel der Startschuss. Langsam ging es vorwärts und bereits nach etwas mehr als einer Minute waren wir über die Startlinie gekommen und konnten frei laufen. Rainer setzte sich ganz langsam ab und ich hielt mich an Harald und Jürgen. Wir versuchten unser geplantes Tempo von 7 Minuten pro Kilometer zu laufen, hatten aber keinerlei Anhaltspunkte, da wir keine Kilometerschilder sahen. Also orientierte ich mich an meinen Pulswerten und tatsächlich klappte das dann auch bestens, mit 7:04 min/km waren wir nach fünf Kilometern sehr gut in der Zeit.

Wie immer zu Beginn eines Laufes war alles bestens, meine Stimmung war euphorisch, ich machte mir kaum Sorgen und freute mich, dass das Wetter sich gehalten hatte und es nicht regnete. Ich hatte ein Laufhemt mit kurzen Ärmeln an und ein ärmelloses drüber. Das musste genügen, auch für die Nacht, in der es hoffentlich nicht kalt würde. Ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten hatte ich einen Grürtel mit Trinkflasche dabei, dort hatte ich meine Kameratasche befestigt. Ich wollte versuchen, einige Bilder während des Laufes zu machen. Die Kamera war so klein und leicht, dass sie mich nicht behindern würde, nur brauchte sie eben eine Tasche, in der sie aufbewahrt werden konnte. Wenn ich mich dann schon mit einem Gürtel beschweren musste, bot sich natürlich mein Trinkgurt an. Dort packte ich noch die anderen Kleinigkeiten hinein, die man so während eines Laufes benötigt: Klopapier, eine kleine Stirnlampe, mein Energiegetränk, das ich ab km 60 einsetzen wollte.

Jürgen sorgenvoll, Harals optimistischimmer noch mitten in der StadtVon Beginn an säumten Mengen von Zuschauern die Straßen und feuerten uns an, die Straßencafes waren voll, aus den Fenstern der Häuser winkten man, Kinder drängten sich nach vorne und wollten abgeklatscht werden - eine Stimmung wie auf einem Volksfest. Da musste man aufpassen, dass man sich nicht mitreißen ließ und zu schnell war, so wie Bernhard, der eigentlich 9 min pro km laufen wollte, von Anfang an langsam tun wollte und jetzt von der Stimmung mitgerissen wurde und gar vor uns rannte, viel schneller als geplant. Nun ja, das würde sich schon noch geben.

Die Streckenführung war anders als vergangenes Jahr. Ich hätte erwartet, dass wir nach etwa fünf Kilometern aus Biel heraus kommen, wir waren aber immer noch in der Stadt. Noch ganz genau erinnerte ich mich, wie sich im vergangenen Jahr die Atmosphäre verändert hatte, als wir zum ersten Mal in die Dunkelheit20 Liegestütz und weiter! hinein liefen und die künstliche Beleuchtung in der Stadt ersetzt wurde durch den Vollmond, der eine ungewohnte, eine idyllische, anheimelnde Stimmung in der Landschaft erzeugte. Beinahe sehnsüchtig wartete ich auf diesen Moment, der jedoch nicht kam. Statt dessen führte uns die Strecke immer noch durch die Ausläufer von Biel, hoch eine Straße, die Zuschauer jetzt nicht mehr ganz so dicht. Der Stimmung tat das offensichtlich keinen Abbruch, die Kräfte waren noch gewaltig und so ist es zu erklären, dass sich vor mir ein paar marschierende Soldaten auf den Asphalt legten und zwanzig Liegestützen machten. Einer davon zählte laut mit. Ich war so überrascht von dem Geschehen, dass ich etwas zu spät meine Kamera schussbereit hatte und ein Bild machen konnte. Die Kameraden waren gerade fertig geworden, daher zeigt die Aufnahme nicht mehr alle in Aktion. Ob die das wohl noch mehrmals wiederholt haben?

Die Zuschauer richten es sich mehr oder weniger gemütlich ein

Weiter ging es hoch die Straße und dann kam eine Verpflegungsstelle, immer noch in der Stadt. Vergangenes Jahr konnte ich nach etwa 60 Kilometern nichts Festes mehr essen, alleine Cola gab mir noch die Kraft, weiter zu laufen. Daher hatte ich mir für dieses Jahr vorgenommen, bei jeder Gelegenheit zu essen und zu trinken, so viel es ging, um damit der Energielosigkeit vorzubeugen. Also trank ich zwei Becher Tee, aß eine halbe Banane und nahm noch ein Stück trockenes Brot mit auf die Strecke.

Immer noch war ich bei Harald und Jürgen, mein Puls war im richtigen Bereich und die Geschwindigkeit wohl auch, kontrollieren konnte ich das aber nicht, da wir aus irgendeinem Grund alle drei das 10-Kilometer-Schild übersehen haben. Die Straße führte wieder abwärts und wir kamen durch das Dorf Jens. Jetzt kam der Streckenabschnitt durch die Felder, der mir vom vergangenen Jahr noch gut in Erinnerung war: ewig geradeaus auf einem geschotterten Feldweg, 90 Grad nach links, einige hundert Meter geradeaus, 90 Grad nach rechts und wieder ewig geradeaus. Hier irgendwo sahen wir das Schild "15 Kilometer" und konnten es nicht glauben. Da wären wir aber flott unterwegs gewesen, mehr als eine Minute pro Kilometer schneller als die geplanten 7 min/km. Das konnte nicht sein, hatten wir uns verguckt? Nun ja, irgendwann würde Kilometer 20 kommen und dann wüssten wir es. Weitere Kilometer trabten wir auf dem geschotterten Feldweg. Letztes Jahr hatte der Weg bereits einige Schlaglöcher, die aber nicht störten. Da es heute den Tag über immer wieder stark geregnet hatte, waren diese Schlaglöcher mit Wasser gefüllt und immer wieder auch waren große Pfützen zu umgehen. Glücklicherweise konnte ich den Weg recht gut sehen, obwohl ich meine Lampe nicht an hatte. Meist jedoch hatte ich Läufer hinter mir, die den Weg ganz ordentlich beleuchteten. Trotzdem trat ich ein- oder zweimal in eine Pfütze und holte mir nasse Füße.

Da, endlich, das nächste Kilometerschild tauchte auf. Aber welche Enttäuschung: Kilometer 15! Da mussten wir drei uns mächtig getäuscht haben beim letzten Schild. Von der gelaufenen Zeit her war jetzt natürlich alles wieder im Lot, wir hatten einen Schnitt von 7:03 min/km, also Kurs auf 12 Stunden, wenn wir die Geschwindigkeit halten konnten, sogar noch etwas drunter.

Aarberg tauchte auf und schon waren wir auf der berühmten Holzbrücke, gesäumt von Zuschauern, die uns begeistert anfeuerten. Weiter ging es durch den Ort, vorbei an Wurstständen, bis dann am Ortsende der nächste Verpflegungsstand auftauchte. Wieder trank ich zwei Becher Tee, aß eine halbe Banane und nahm ein Stück Brot auf den Weg.

Holbrücke Aarberg
km 17,5: Verpflegung in Aarberg
Aarberg mit Holzbrücke, Wurstständen und der Verpflegungsstelle am Ortsausgang

Wieder ging es hinaus in die Dunkelheit. Hier irgendwann mussten die Fahrradbegleiter dazustoßen, die dann mehr Licht auf die Strecke bringen würden. Aber das war gar nicht nötig, man konnte auch so genügend sehen, obwohl der Himmel bewölkt war und der Mond daher nur indirekt leuchten konnte, eine Taschenlampe war nicht notwendig. Nach der anfänglichen Euphorie hatte sich jetzt so etwas wie Ernüchterung breit gemacht. Außer kurzen Fragen und Antworten, oder Bemerkungen zu irgendwas, gab es keine Unterhaltung mehr. Jeder von uns dreien war wohl mit sich selbst beschäftigt. Ich kann mich kaum mehr daran erinnern, wie es mir zu dieser Zeit ging. Vermutlich machte ich mir Gedanken und Sorgen, da meine Fußsohlen bereits nach wenigen Kilometern zu schmerzen begannen. Seit dem Marathon des Sables im vergangenen Jahr, ist mein linker Fuß lädiert, das Fußgewölbe ist im Bereich der Zehen vollkommen weg, ein Spreizfuß, wie man ihn nicht schöner im Lehrbuch finden kann. Mit Einlagen ist das eingermaßen im Rahmen zu halten, trotzdem wird der Fußballen stärker als normal belastet und schmerzt dadurch. Der rechte Fuß ist besser dran, aber auch nicht gut. Dazu kommt, dass ich seit dem Isarlauf vor drei Wochen stärkere Schmerzen im Kreuz habe, wobei das eher nach Ischias aussieht, als nach Bandscheibe. Egal - mein Leib signalisierte bereits jetzt erste Schmerzen, das konnte ja heiter werden.

Kilometer 20 war erreicht und der Schnitt auf 7:17 min/km für die vergangenen fünf Kilometer gefallen. Subjektiv hatte ich das so nicht empfunden, sondern gedacht, dass wir unser Tempo eher gesteigert hatten. Immer wieder überholten uns nun Läuferinnen und Läufer. Das mussten die Marathonläufer sein, die eine halbe Stunde nach uns gestartet waren, oder bereits die Staffelläufer, die eine Stunde nach uns gestartet waren. Jetzt wurde uns auch klar, dass das erste km 15-Schild das der Marathonläufer gesehen war. Die machten in Biel eine zusätzliche Schleife und daher stimmten ihre Entfernungsangaben nicht mit denen des 100-km Laufes überein. Anfänglich frozzelten wir noch, wenn uns ein schneller Läufer überholte: "Lass den Kurzstreckenläufer vorbei!" nach einer Weile wurde uns das zu langweilig und wir versanken wieder in unseren Trott.

Erste Zweifel meldeten sich bei mir, ob ich dieses Tempo durchhalten könnte. Da überkam mich zu allem Überfluss auch noch ein menschliches Bedürfnis. Wir hatten gerade Lyss verlassen, die Straße führte in einem großen Bogen an Feldern vorbei und vor uns begann ein Wald, endlich die Gelegenheit. Ich sagte Jürgen Bescheid und machte mich dann nach rechts weg an den Waldrand. Die persönlichen Betreuer lassen es sich gutgehenGar nicht so einfach, wenn es einigermaßen stockdunkel ist. Aber ich fand mein Klopapier in meinem Trinkgurt und konnte mein Geschäft mit Anstand abschließen. Wieviel Zeit hatte ich wohl verloren? Konnte ich die Beiden wieder einholen? Ich war wieder auf der Strecke und lief etwas schneller, um die verlorenen Minuten zu retten. Kilometer 25 zeigte dann, dass der Aufenthalt beinahe drei Minuten gedauert hatte, denn mit 38:39 Minuten dauerten diese fünf Kilometer einiges länger als die üblichen 35 Minuten. Also hielt ich mein flottes Tempo bei und hielt mich auch nicht allzulange bei der Verpflegungsstelle auf: Tee, Wasser, Energieriegel, Brot, zwei Bilder und weiter ging es, ich wollte die Beiden einholen. Welch eine Fehlkalkulation! Ich ignorierte schlichtweg meine Körpersignale. Zwar schaffte ich die nächsten fünf Kilometer wieder mit einem Schnitt von 7:03 min/km, aber eingeholt habe ich Jürgen und Harald trotzdem nicht.

Kilometer 30 lag hinter mir, das Wetter hatte sich prima entwickelt, kein einziger Regentropfen und temperaturmäßig hätte es nicht besser sein können. Inzwischen war es beinahe zwei Uhr und ich spürte die Müdigkeit immer stärker. Schon seit einiger Zeit war mir aufgefallen, dass ich nicht mehr automatisch geradeaus lief, ich hatte einen Rechtsdrall; wenn ich mich nicht bewusst konzentrierte, kam ich immer mehr nach rechts ab Richtung Straßengraben. Erst langsam dämmerte es mir, dass mein Körper Schlaf forderte und auf dessen Entzug durch solche Koordinationsprobleme antwortete. Ich schloss probeweise die Augen, um das Gefühl auszukosten, wie es wäre, wenn ich jetzt tatsächlich schlafen dürfte. Ein paar Schritte lief ich so, öffnete die Augen wieder, um zu kontrollieren, ob ich von der geraden Linie abgekommen war. Nein, eigentlich nicht! Sobald ein gerades Stück Weg kam, wieder das selbe Spiel. Rekord waren zehn Sekunden mit geschlossenen Augen, aber wahrscheinlich hätte ich auch mehr geschafft. Natürlich half das gegen die Müdigkeit überhaupt nichts, aber es lenkte ab, von den Schmerzen, von der Eintönigkeit, von der Vorstellung, wie lange ich noch zu laufen hatte, von all den deprimierenden Gedanken.

Auch nach 2 Uhr waren die Zuschauer präsent

Wieder mal musste ich das Kilometerschild übersehen haben, wahrscheinlich weil ich zu unkonzentriert war, zu müde, oder mal gerade die Augen geschlossen hatte. Ich war gar nicht gut drauf. Mein Kreuz, meine Hüfte, meine Beine, die Fußsohlen, alles tat mir weh, nicht zur selben Zeit, aber zumindest immer eines dieser Teile. Ich hatte das Gefühl, als ob der Schmerz von der rechten Fußsohle hoch wanderte und dann hinunter zur linken Fußsohle. Manchmal taten mir auch beide Sohlen weh. Das Laufen machte keinen Spaß mehr und das Schlimmste war das Wissen, dass ich noch über sechzig Kilometer vor mir hatte - ein übler Gedanke. Das erste Mal bei all meinen Läufen fasste ein Gedanke Fuß: "Du könntest doch aufhören!" Nicht dass ich ganz ernsthaft geglaubt habe, dass dieser Gedanke Wirklichkeit werden könnte, aber mehr als ein Gedanke war er schon. Mir war klar geworden, dass das Ziel, 12 Stunden oder gar schneller zu laufen, heute unerreichbar war. Dazu mein maroder Körper, der die Überlastung überdeutlich signalisierte. Ich hatte schlicht zuviel gemacht in den vergangenen Monaten. Ja aber all die Kameraden um mich herum, Rainer, der vier Jahre älter ist als ich. Er hatte den Isarlauf blendend überstanden. Oder Hans, läuft mehr als ich, beinahe jedes Wochenende einen Marathon oder mehr; auch er hatte den Isarlauf bestens überstanden. All die bekannten Läufer kamen mir in den Sinn und dann ich! Kaum trainiere ich mal etwas mehr, mache einen Mehrtageslauf und schon rebelliert mein Körper an allen möglichen Stellen. Vermutlich machte ich zuviel, vielleicht aber wäre es überhaupt das Beste, mit dem Laufen ganz aufzuhören.

Zwischen Schmerzen und üblen Gedanken, die Verpflegungsstelle bei Kilometer 38,8 war erreicht, hier war auch die Wechselzone für die Staffelläufer. Der erste Läufer der Staffel wurde hier von seinem Partner abgelöst. Für die Marathonläuferinnen und Läufer war hier das Ziel und für mich bedeutete dies nur eine kurze Pause an den Verpflegungstischen um zu trinken (Tee, Wasser) und zu essen (Schokolade, Brot), mich kurz auszuruhen und dann weiter zu laufen. Bald darauf sah ich tatsächlich das Schild Kilometer 40. Schnitt 7:28 min/km auf den letzten zehn Kilometern. Das Laufen war mir immer schwerer gefallen und zum ersten Mal bin ich auch kurze Strecken gegangen. Dieser Schnitt bestätigte meine Befürchtung, dass ich weit von meiner Wunschzeit entfernt war. Ich konnte froh sein, wenn ich den Lauf unter 13 Stunden schaffte.

Meine Moral war am Ende, ich musste wieder gehen und sah mich schon im Geiste die restlichen 60 Kilometer gehend. War denn das überhaupt zu schaffen? Noch hatte ich bis Zielschluss 17 Stunden Zeit, 17 Stunden für 60 Kilometer, das wären 17 Minuten pro Kilometer, das sollte gehen. Die Vorstellung aber, noch so viele Stunden unterwegs zu sein, die Schmerzen auszuhalten, die sicher nicht weniger würden, eine Horrorvorstellung. Ich musste rennen, wenigstens einen 8er Schnitt oder so erreichen. Also begann ich wieder zu joggen, einen langsamen, schlurfenden Schritt, aber wenigstens rannte ich.

Lassen sich weder von uns Läufern noch vom Regen störenGegen 3:15 Uhr begann es zu regnen, nicht stark, es nieselte. Da ich eh bereits vom Schwitzen nass war, störte mich das nicht mal. Ich war nur irgendwie überrascht, nachdem das Wetter bis jetzt so gut gehalten hatte. Der Regen störte mich nicht weiter, es war immer noch warm und meine Kleidung ideal, besser hätte ich mich gar nicht anziehen können. Mit langsamem Joggingschritt schlurfte ich durch Etzelkofen, die Straße machte mehrere sanfte Kurven leicht bergab, schnell macht ich noch ein Bild von den Schafen im Gehege links von der Straße und schon lag das Dorf hinter mir. Der Regen störte mich nicht, aber seine indirekten Folgen. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit und Wärme beschlug meine Brille. Mein Waschlappen half mir da auch nicht viel, er war viel zu nass und konnte nur kurzfristig die Brille durchsichtiger machen. Ich lief also stellenweise halb blind, aber solange ich auf einer Asphaltstraße war, machte das kaum Probleme. Verflucht, schon wieder musste ich hinter einen Busch. Regen, eine beschlagene Brille, klammes Klopapier - meine Stimmung wurde nicht besser. Als ich wieder auf der Strecke war holte ich vorsichtshalber die Plastiktüte heraus, die ich genau für diesen Zweck mitgenommen hatte und steckte meine Kamera da hinein und dann in die Tasche. Jetzt konnte es regnen, die Kamera war geschützt.

Mein Schnitt von km 40 bis Kilometer 45 war auf 10:20 min/km gefallen. Ok, der Aufenthalt hinter dem Busch hatte mehr Zeit gekostet, als normal, aber ich war zuviel gegangen und zwenig gejoggt. Moralisch war ich nicht mehr gut drauf, aber ich war jetzt gewillt, ins Ziel zu kommen, egal wie. An der Verpflegungsstelle traf ich Christine, der es, ganz im Gegensatz zu mir, erbärmlich kalt war, obwohl sie eine Regenjacke an hatte. Glücklicherweise aber war Joseph als Begleiter dabei, der mit dem Auto immer wieder an der Strecke stand und sie moralisch unterstützte. Sie bat ihn, am nächsten Treffpunkt das Auto aufzuheizen, damit sie sich dort aufwärmen konnte und trockene Kleider anziehen. Ansonsten hatte sie keinerlei Probleme, fühlte sich bestens. Bis zu 200 Kilometer pro Woche hatte sie trainiert und würde wohl heute eine sehr gute Zeit laufen. Ich verabschiedete mich von den Beiden und machte mich wieder auf den Weg. Wenn ich auch nur ansatzweise in einer anständigen Zeit ankommen wollte, wenn ich die Schmerzen nicht länger als notwendig ertragen wollte, dann musste ich schneller werden. Ich gab mir Mühe und begann zu joggen. Immer noch nieselte es und so gegen 4:30 Uhr begann es tatsächlich stärker zu regnen. Innerhalb von Minuten drang mir das Wasser bis auf die nackte Haut. Da es aber glücklicherweise immer noch nicht kalt war, machte mir das nichts aus, mit keinem Gedanken erwog ich, mich unterzustellen; auch eine Regenjacke vermisste ich nicht. Im Grunde störte mich der Regen nicht, außer dass meine Brille ständig beschlagen war. Bereits nach kurzer Zeit aber ließ der Regen nach und bald hörte es ganz auf zu regnen.

Das Kilometerschild 50 hatte ich übersehen, so dass ich nicht genau wusste, wie schnell ich war, aber bei Kilometer 55 war ich dann erfreut: Schnitt 7:51 min/km für die vergangenen 10 Kilometer. Nicht schlecht für meinen Zustand. Offensichtlich hatte ich mich bei meinem langsamen Abschnitt wieder einigermaßen erholt. (Da sieht man mal wieder, wie man seine Erwartungen reduzieren kann, wenn die Umstände einen zwingen.)

Kirchberg (km 56): Der Regen hat aufgehört

In Kirchberg (km56) war der nächste Staffelwechsel, also wieder ein etwas größeres Gelände mit Verpflegungsstelle. Ich nahm die Gelegenheit war, mich auf den dort aufgestellten Bänken zu erholen und wieder zu essen und zu trinken. Entgegen meiner ursprünglichen Absicht hatte ich bereits vor vielen Kilometern begonnen, mein Energiegetränk anzugreifen. Immer wieder hatte ich einen Schluck genommen und dann die "Lücke" wieder an der nächsten Verpflegungsstelle mit Tee auffüllen lassen. Hier in Kirchberg nun gab es das erste Mal Cola. Ich trank zwei Becher, einen weiteren mit Tee und verdrückte lustlos noch irgendwelche Energienahrung. Ich spürte, bald war der Punkt erreicht, an dem ich nur noch trinken konnte. Insgesamt mindestens fünf Minuten saß ich hier und erholte mich, bevor ich wieder auf die Strecke ging. Ein paar hundert Meter Gehen und dann wieder meinen langsamen Joggingschritt. Erstaunlicherweise fiel mir der Wechsel überhaupt nicht schwer, im Gegenteil, manchmal hatte ich den Eindruck, dass meine Schmerzen weniger wurden, wenn ich joggte. Gerne wäre ich also die restlichen Kilometer gejoggt, aber ich spürte deutlich, wie nach ein paar Kilometern die Energie nachließ und ich gehen musste. Mir wäre schlecht geworden, wenn ich in dieser Situation weiter gejoggt wäre. Erfreulicherweise jedoch waren meine Schmerzen im Kreuz und der Hüfte weg, nur noch die Fußsohlen und jetzt natürlich die Muskeln, vor allem die der Oberschenkel.

Nachdem ich nun schon seit etwa 15 ... 20 Kilometern Energiegetränke zu mir nahm, erst das eigene und jetzt Cola, stellte ich fest, dass der "Schub" immer nur drei bis maximal 4 Kilometer anhielt. Danach hatte ich nur noch so viel Energie, dass ich gehen musste. Also begann ich bereits nach jeweils drei Kilometern aus meiner Flasche (0,5 l) zu trinken, nach weiteren drei Kilometern nochmals und schaffte es dann gerade noch bis zur Verpflegungsstelle, an der ich wieder auftanken und meine Flasche füllen lassen konnte.

Auf dem Damm kurz nach KirchbergKurz nach 5 Uhr begann es ganz unmerklich zu dämmern und um halb Sechs war es nahezu hell. Damit konnte ich den berüchtigten Ho-Chi-Minh-Pfad bei Helligkeit laufen und musste mich nicht im Dunkeln mit dem schlechten Weg auseinandersetzen. Kurz bevor es auf den Damm in Kirchberg ging, mit dem der Pfad sozusagen ganz harmlos beginnt, lief ich einige Minuten mit einem Läufer, der etwa mein Alter hatte. Zu dem Zeitpunkt musste ich - völlig grundlos - gemeint haben, die restlichen 45 Kilometer würde ich auch noch ordentlich schaffen. Ich hatte also noch einige Illusionen und fragte ihn, den ich gerade eingeholt hatte und der in etwa mein Tempo lief, ob wir das Zeil wohl noch vor 11 Uhr (Gesamtzeit also 13 Stunden) schaffen könnten. Er wies das nicht ganz von sich, meinte aber, es würde schwer werden. Noch einige Minuten liefen wir gemeinsam und dann verlor ich ihn aus den Augen.

Immer noch Ho-Chi-Minh Pfad, aber sehr entschärftKilometer 60: Schnitt die letzten fünf Kilometer 10:20 min/km. Da hatte mich meine Pause bei der letzten Verpflegungsstelle wieder viel Zeit gekostet, also schlufte ich joggend die nächsten Kilometer auf dem schlechten Untergrund des Ho-Chi-Minh-Pfads. Irgendwie kam er mir aber etwas entschärft vor, im vergangenen Jahr war das schlechte Wegstück mit Steinen, Wurzeln und überhängenden Büschen viel länger. Es war wohl beinahe so wie vor zwei Jahren, als Bernhard in seinem Bericht über Biel gemeint hatte, man hätte dem Ho-Chi-Minh-Pfad "die Zähne gezogen". Ich joggte also nahezu den ganzen Pfad, die Läuferinnen und Läufer hinter mir konnte ich so in Schach halten und meine Position behaupten.

Der nächste 5-km-Abschnitt war geschafft, Kilometer 65 erreicht, bald würde auch der Pfad zu Ende sein und ich konnte wieder auf Ich sehe besser aus, als ich mich fühleproblemlosem Asphalt laufen. Immerhin hatte ich auf diesem schlechten Untergrund einen Schnitt von 9:25 min/km geschafft, trotz Pause an der Verpflegungsstelle. Vor allem aber waren die Schmerzen im Kreuz immer noch verschwunden! Nur noch meine Fußsohlen taten weh, mal mehr, mal weniger und manchmal waren sie auch nahezu ganz weg. Endlich, das Ende des Pfades war erreicht, die Verpflegungsstelle bei km 67 kurz vor Gerlafingen erkannte ich sofort. Hier hatte ich im vergangenen Jahr Wolfgang getroffen. Der war damals auch in schlechter Verfassung und ich noch gut drauf. Wie anders war es heute. Erst Mal musste ich mich setzten, um dann nach einigen Minuten einen ersten Becher Cola vom Verpflegungstisch zu holen. Wieder setzte ich mich und trank langsam. Nochmals aufstehen, den Becher füllen lassen und wieder setzen. Ich war erledigt; zwar war mir klar, dass ich die 100 km schaffen würde und wenn ich den Rest gehen müsste, aber dem heutigen Lauf konnte ich nichts positives abgewinnen. Um meinen Zustand zu dokumentieren, ließ ich ein Bild von mir machen. Sehe eigentlich ganz normal aus, aber man weiß ja: Bilder können lügen, mordsmäßig sogar.

Nach langen Minuten raffte ich mich auf. Im Gegensatz zu bisher, habe ich zusätzlich zu den Schmerzen an meinen neuralgischen Stellen jetzt auch noch die üblichen Schmerzen, die man nach so vielen Kilometern eben hat. Erst mal ein paar dutzend Meter gehen und dann wieder langsam joggen. Na ja, es geht doch. Wir laufen wieder auf einer Straße, geradezu eine Wohltat. Ich beginne wieder zu rechnen. Mit 11 Uhr als Zielankunft wird es wohl nichts mehr werden, aber wohl noch vor 12 Uhr; das wären dann 14 Stunden, eine erbärmliche Zeit, aber ich wäre zufrieden gewesen. In den vergangenen Stunden ging mir so mein kurzes Läuferleben durch den Kopf. Vor fünf Jahren hatte ich mit dem Laufen begonnen, vor vier Jahren lief ich meinen ersten Marathon, die beiden nächsten Jahre verbesserte ich meine Zeiten auf sämtlichen Strecken, vor zwei Jahren lief ich meinen ersten Ultra, vergangenes Jahr den ersten Mehrtageslauf und meinen ersten 100er, heute war mein 44. Marathon, mein 16. Ultra und jetzt war ich am Ende. Diesen Lauf heute würde ich noch überstehen, dann aber radikal weniger laufen. Was hatte ich für dieses Jahr alles noch geplant, ich Idiot! Meinen ersten 12-h-Lauf wollte ich machen, vielleicht sogar einen 24-h-Lauf, den Grand Raid auf Reunion wollte ich machen, mehrere Bergmarathons (Graubünden, Zermatt, Jungfrau), vielleicht noch einen oder zwei 6-h-Läufe. Da hatte ich Großmaul wohl meinen Mund zu voll genommen, dieser Lauf heute zeigte mir meine Grenzen überdeutlich auf. Nicht alleine die Schmerzen in Fußsohlen und Kreuz zermürbten mich, die konnte man wahrscheinlich in den Griff bekommen. Nein, meine Schwäche machte mir zu schaffen. Es war mir seit 35 Kilometern nicht mehr möglich einen 7er Schnitt zu laufen, ohne dass mein Kreislauf verrückt spielte und ich spürte, dass mir schlecht würde. Jetzt hatte ich soviel trainiert und sogar den Isarlauf geschafft und trotzdem ging es nicht aufwärts, sondern abwärts. Alles in Allem schloss ich mit meinem bisherigen Läuferleben ab und plante ein neues, radikal reduziertes. Vor allem in Biel würde ich nie mehr laufen, nie mehr länger als Marathon! Die bereits für dieses Jahr geplanten Marathons und Ultras würde ich bis auf einen oder zwei absagen.

Die Läuferin rechts außen: siehe Text Eigentlich ging es jetzt nur noch darum, die restlichen Kilometer irgendwie hinter mich zu bringen. Bei meinem derzeitigen Tempo bedeutete das aber noch eine kleine Ewigkeit, da ich pro fünf Kilometer nahezu eine Stunde brauchte. Da muss man irgendwie die Zeit hinter sich bringen und so ging mir alles mögliche durch den Kopf, Gedanken, die ich jedoch nie ganz zu Ende dachte. Auch die Mitläufer um mich herum schaute ich an, schätzte ab, wie gut es ihnen ging. In Gespräche kam man da eigentlich nicht, jeder kämpfte für sich alleine gegen die Zeit und hatte keine Lust auf Unterhaltung. Da sah ich vor mir eine ältere Läuferin auf die Wiese neben der Straße gehen. Sie zog ein Hosenbein ihrer Laufhose zur Seite und pinkelte im Stehen durch diese Öffnung. Sofort war sie wieder auf der Straße und lief weiter. Professionell!

ein bewundernswertes Gespann Ein anderer Läufer fiel mir dadurch auf, dass er einen Begleiter hatte, der auf einem dreirädrigen Fahrrad fuhr. Beide hatte ich schon an der letzten Verpflegungsstelle gesehen; sie waren dort vor mir aufgebrochen und der Fahrradfahrer hatte Mühe gehabt, den kleinen Anstieg zur Brücke zu schaffen. Als ich dann aufgebrochen war, sah ich die Beiden ganz in der Ferne. Vielleicht konnte ich sie einholen? Tatsächlich kam ich ihnen im Laufe der nächsten zwanzig Minuten immer näher. Ab und zu stieg der Begleiter ab und reichte dem Läufer etwas zu trinken. An einer Stelle, an der die Straße etwas stärker anstieg, schob er sein "Fahrrad". Beide machten auf mich den Eindruck, als ob es ihnen auch nicht viel besser ginge wie mir. Ich konnte sie dann überholen und sah sie wieder an der nächsten Verpflegungsstelle. Als der Fahrradbegleiter sich etwas zu Trinken holte, sah ich, dass er körperlich behindert, vermutlich eine Art Lähmung. Dass er trotz dieser Behinderung eine solche Strapaze auf sich nahm, um seinen Freund zu begleiten, nötigte mir Hochachtung ab. Das relativierte doch ganz gewaltig meine heutigen Sorgen.

Für die fünf Kilometer bis Kilometer 70 benötigte ich 55:30 Minuten (11:06 min/km!!!), beinahe eine Stunde für fünf Kilometer. Ja, ja - an der letzten Verpflegungsstelle machte ich mindestens zehn Minuten Pause, aber trotzdem war das miserabel. Wenn ich so weitermachte, würde mich womöglich noch Sigrid einholen, Sigrid, die mich bereits auf der vorletzten Etappe des Isarlaufes bedrängt hatte und mich auf der letzten Etappe hinter sich gelassen hatte. So weit aber durfte es heute nicht kommen. Also riss ich mich zusammen, schlurfte so vor mich hin, gab mich meinen düsteren Gedanken hin und trank vorbeugend das Cola aus meiner Trinkflasche. Warum wohl hielt das verfluchte Zeug immer nur wenige Kilometer? Warum musste ich mich dann erst mal wieder erholen, um dann wieder ein paar Kilometer joggend zu schaffen? Das erste Mal heute kam mir ein vernünftiger Gedanke. Was braucht dein Körper? Energie! Aber doch kein Aufputschmittel wie Cola (=Coffein)! Also würde ich mich ab jetzt wieder an den Tee halten. Der war recht süß und hatte somit genau so viele Kohlehydrate wie das Cola, putschte aber nicht so auf. (Tatsächlich km 73: Da hab ich schon meine neue Strategie erdachtschaffte ich es dann mit dieser Strategie, dass ich gleichmäßiger laufen konnte, die Einbrüche waren nicht mehr da.) Bevor ich den Gedanken aber in die Tat umsetzen und auch erproben konnte, würde es noch ein wenig dauern. Erst mal musste ich mich an der Verpflegungsstelle bei km 73 (Ichertswil) wieder setzen und mich erholen. Schon wieder mindestens sieben bis acht Minuten verloren. Auch diesmal bat ich einen Läufer, ein Foto von mir zu machen. Der Kerl stellte sich aber so dämlich an, oder war er so schwach, er schaffte es nicht, den Auslöseknopf ganz durchzudrücken. Nach mehreren Versuchen erlöste ich ihn, meinte, es müsse ja auch nicht sein und er zog seiner Wege. Ich blieb noch ein wenig sitzen und bat den nächsten Läufer. Fotoapparat in die Hand genommen, mich durch den Sucher anvisiert und schon war das Bild gemacht. Der Junge hatte es drauf! Und wieder sehe ich auf dem Bild um Klassen besser aus, als ich mich fühle.

etwa km 76: weit auseinandergezogenes Läuferfeldetwa km 77Weiter ging es. Die Strecke verlief immer noch auf einer Straße, eine typisch landwirtschaftlich geprägte Gegend, meist Wiesen links und rechts, ab und zu auch mal ein kleines Wäldchen links oder rechts der Straße. Das Läuferfeld war jetzt sehr auseinandergezogen, oft war hundert Meter vor und hinter mir niemand mehr und den meisten ging es nicht besser als mir, vermutlich noch ein wenig schlechter, denn mit meinem langsamen Joggingschritt überholte ich doch immer wieder mal einen Läufer oder eine Läuferin. Endlich mal ein Lichtblick - meine Strategie, das Cola wegzulassen und nur noch den süßen Tee zu trinken ging auf. Ich konnte wieder ununterbrochen joggen, musste keine Gehpausen einlegen, nur an den Verpflegungsstellen trank ich meinen Tee, machte eine oder zwei Minuten Pause und lies mir die Flasche mit Tee auffüllen. Dutzende von Läufern überholte ich so auf den nächsten Kilometern. Noch einmal musste ich hinter einen Busch sitzen und konnte dann ganz unbeschwert das Gefälle nach Arch hinunter laufen.

9:16 Uhr: Nur noch 20 Kilometer!Endlich! Kilometer 80 war in Sicht! Nur noch 20 Kilometer, die würde ich normalerweise in etwas mehr als zwei Stunden schaffen; heute aber musste ich beinahe mit der doppelten Zeit rechen. Das bedeutete noch vier Stunden. Wir hatten genau 9:16 Uhr, als ich das Schild erreichte, plus vier Stunden, würde bedeuten, dass ich erst nach 13 Uhr ankommen würde. Schon wieder musste ich meine Ankunftszeit korrigieren. Im Grunde genommen war mir das jetzt egal, die Zeit spielte keine Rolle mehr, Hauptsache, ich kam überhaupt noch an. Mein Schnitt auf den vergangenen fünf Kilometern lag bei 9:44 min/km und das, obwohl ich doch die ganze Zeit gejoggt war. Wenn ich das aber durchhalten würde, käme ich tatsächlich noch vor 13 Uhr an. Ich lief durch Arch, machte dann aber am Ortsende an der Verpflegungsstelle erst mal ausgiebig Pause, legte mich auf eine Bank und hoffte auf etwas Erholung. Nach langen Minuten stand ich ächzend auf, holte etwas zu trinken, setzte mich sofort wieder und trank. Gerade als ich aufbrechen wollte kam Rolf. Mit ihm bin ich beim Marathon des Sables ein Großteil der Nacht bei der langen Etappe zusammen gelaufen. Damals ging es ihm nicht gut wegen vieler Blasen an den Füßen, heute ging es ihm nicht gut wegen Erschöpfung. Wir unterhielten uns ein wenig und dann machte ich mich wieder auf den Weg.

Dieses Jahr sollte die Strecke hinter Arch anders, schöner geführt werden. Letztes Jahr musste man da über Feldwege in der Nähe der Autobahn laufen, zwar topfeben, aber unendlich langweilig und ohne jeglichen Schatten in der Bruthitze. In der Tat, nach ein oder zwei Kilometern führte der Weg neben einem Flüsschen her, man hatte einen schönen Ausblick und war auch ein wenig gegen die Sonne geschützt, die jetzt doch tatsächlich beinahe unangenehm heiß schien. Dieser Streckenabschnitt ist wirklich ein Gewinn für den Lauf. Obwohl also die Strecke hier wirklich schön war und mir eigentlich Auftrieb hätte geben können, wurde ich wieder langsamer, musste auch Gehpausen einlegen, so dass ich auch immer wieder von Läufern überholt wurde. Mein Schnitt fiel auf schlechte 11:37 min/km ab, meine Ankunft vor 13 Uhr war gefährdet.

Der neue Streckenabschnitt von ca. km 83 - km 92

km 87,5: Verpflegungsstelle BürenRalfIch hatte Kilometer 85 erreicht (10:02 Uhr) und war mit 9:05 min/km noch etwas schneller gewesen als die vorigen fünf Kilometer. Da musste mir das Gefällen hinunter nach Arch geholfen haben. Jetzt aber spürte ich diese Belastung, ich brauchte dringend eine Pause. Abwechselnd gehend und joggend erreichte ich endlich die Verpflegungsstelle in Büren (km 87,5). Sehr schön am Fluss gelegen, Bänke zum Sitzen - Herz was willst du mehr! Dort traf ich Ralf, den ich auch beim Marathon des Sables vergangenes Jahr kennengelernt hatte. Auch ihm ging es heute nicht gut, ich glaube, er war noch schlechter dran als ich. Gemeinsam saßen wir auf der Bank, unterhielten uns und ich trank zur Abwechslung mal wieder Cola, zusätzlich zum Tee. Im Laufe der Minuten kamen noch Christine und Rainer und etwas später Rolf. (Alle lernten wir uns beim Marathon des Sables kennen.) Leider waren wir so vom gegenseitigen Klagen unserer Probleme gefangen, dass ich vergaß, ein Bild zu machen.

10:57 Uhr: nur noch 10 kmNach etwa fünfzehn Minuten raffte ich mich auf und ging weiter, zusammen mit Ralf, der sich aber gleich wieder verabschiedete, da ich ein wenig schneller joggte als er. Die Strecke führte weg vom Fluss, durch den Ort und hinaus auf die Felder. heiß, unangenehmer AbschnittHier passierte ich auch das Kilometer 90-Schild. Genau 10:57 Uhr und noch zehn Kilometer. Normalerweise eine Stunde und das wär's gewesen. Mehr als einen 10er Schnitt würde ich heute aber nicht mehr schaffen, was bedeutete, dass ich für diese kümmerlichen zehn Kilometer eine Stunde und 40 Minuten brauchen würde - unvorstellbar, aber realistisch. Jetzt musste ich immer wieder Gehpausen einlegen, die Sonne war unangenehm warm und die Strecke führte kerzengerade über Feldwege. Eine topfebene Gegend, links und rechts des Weges Getreidefelder, ewig geradeaus, dann 90 Grad nach links oder rechts und wieder ewig geradeaus.

11:15 Uhr: Christine und RainerDieser Abschnitt machte mir schwer zu schaffen, nur noch Gehen war mir möglich. Da war es auch kein Wunder, dass mich Christine und Rainer überholten. Christine sah zwar auch nicht mehr fit aus, aber einen langsamen Joggingschritt war ihr noch möglich. Beinahe mühelos gingen die beiden an mir vorbei und waren bald entschwunden. Über eine halbe Stunde waren sie dann vor mir im Ziel und das auf nicht mal mehr zehn Kilometern. Weiter ging ich, bis ich endlich an dem Waldstück ankam, das ich noch vom vergangenen Jahr kannte. Ein kleiner Anstieg und ich sah ein Plätzchen auf einem Baumstamm im Schatten. Hier musste ich mich erst mal ausruhen. Auf die paar Minuten kam es jetzt auch nicht mehr an. Einige Läufer kamen vorbei, schauten neidisch auf mich, gingen aber weiter. Auch Ralf überholte mich hier.

12:13 Uhr: das reicht nicht mehr bis 13 UhrNach einer ausgedehnten Pause raffte mich auf und marschierte weiter. Endlich kam das Schild Kilometer 95. Die vergangenen fünf Kilometer waren meine langsamsten des gesamten Laufes: eine Stunde und 14 Minuten, Schnitt also 14:44 min/km. Da hatte mich der Aufenthalt an der letzten Verpflegungsstelle und vor allem meine Pause zu Beginn des Waldes schwer aufgehalten. In einer Mischung aus Gehen und Joggen ging ich die letzten fünf Kilometer an. Ab hier war jeder Kilometer ausgeschildert; meist war ich etwas langsamer als ein 10er Schnitt. Zum Glück führte der Weg immer noch durch den Wald, so dass die Sonne nicht störte.

12:57 Uhr: noch ein knapper KilometerDer letzte Kilometer war angebrochen. Der Weg verlief jetzt an Sand- und Kiesbergen vorbei, der selbe trostlose Abschnitt wie voriges Jahr. Ich mobilisierte nochmals alle Kräfte und begann zu joggen. Diesen letzten Kilometer würde ich doch noch in anständiger Form schaffen! Einen oder zwei Läufer konnte ich noch überholen. Vor mir sah ich Ralf. Mit einigermaßen flotten Tempo bog ich in die Zielgerade ein - geschafft! km 100 - Ziel :-))) 15:04:23 Stunden, 9:02 Minuten pro Kilometer - weit von meinem Vorsatz entfernt. Aber das war mir alles egal. Ich war überglücklich, dass ich diese Tortur hinter mir hatte, dass ich nicht aufgegeben hatte und mich durchgeschleppt hatte. Wieso man sich bloß so schinden muss?

Jürgen, Hanne und Angelika erwarteten mich bereits, geduscht und frisch. Angelika hatte ihr Ziel erreicht, mit 11:48:53 h war sie über 20 Minuten schneller als vergangenes Jahr. Jürgen konnte auf den letzten 15 Kilometern nur noch gehen, erreichte mit 13:00:44 aber noch eine achtbare Zeit. Hanne hatte es leider nicht geschafft und musste unterwegs aussteigen. (JürgenA: 9:35:47 h, sieben Minuten langsamer als vergangenes Jahr; Harald: 12:13:55 h.)

Wir hielten uns nicht lange auf, gingen zum Auto, ich zog mich um und dann starteten wir zur Heimfahrt.bereit zur Heimfahrt

Was bleibt?

Meine negativen Gedanken zum Laufen und meine Laufzukunft habe ich ja ausführlich in diesem Bericht vermerkt. Leider, oder auch glücklicherweise - da kann ich mich noch nicht so genau entscheiden - vergisst der Mensch Unangenehmes sehr schnell. Bei uns Läufern muss das Gedächtnis, was Negatives angeht, noch viel löchriger sein. Nach dem Zieleinlauf und während unserer Heimfahrt vergaß ich bereits meine ausgestandenen Schmerzen, die stundenlangen Strapazen, da war ich nur glücklich, dass ich mich überwunden und das durchgestanden habe. Gleichzeitig überlegte ich ständig, was ich in der Vorbereitung falsch gemacht hatte. Entscheidend war wohl, dass ich mir zuviel zugemutet habe. Der Einbruch auf den beiden letzten Etappen des Isarlaufes hätten mir schon zu denken geben sollen. Dass ich mich danach kaum erholt und auch das Training nicht reduziert habe, war wohl Hauptursache. Ich hatte die grundlegendste Regel missachtet, wonach der Körper zum Aufbau von Kraft und Ausdauer genügend Zeit zur Regeneration benötigt. Ich hoffe wenigstens, dass das die Ursache war? Eine andere Erklärung habe ich nicht.

Bei einem Telefongespräch ein paar Tage nach dem Lauf, schilderte ich Bernhard meine negativen Gedanken während des Laufes, dass ich beinahe das Laufen in Frage gestellt habe. "Unfug!" meinte er. "Wir müssen laufen bis ins hohe Alter. Biel ist Kult. In Biel muss man jedes Jahr laufen!" Ausnahmsweise muss ich Bernhard mal voll und ganz Recht geben. Es wäre tatsächlich mein größter Fehler, wenn ich mit dem Laufen aufhören würde. Ich werde aus dem Erlebnis lernen, versuchen, es besser zu machen, aber nächstes Jahr in Biel bin ich wieder dabei!

Übrigens: Hanne hat sich auch schon erklärt. Sie will nächstes Jahr ebenfalls nochmal in Biel laufen, durchkommen und damit ihren Abbruch von diesem Jahr vergessen machen. Wie ich Jürgen kenne ist er natürlich auch wieder dabei. Angelika? Ganz sicher!

Vielleicht schaffen wir es ja, dass der TV Stammheim sogar mit einer Staffel teilnimmt?

 
Biel ist Kult, in Biel muss man jedes Jahr laufen
(Bernhard)

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Letzte Änderung:
13. August 2009

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