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Der Schwäbische Alb Marathon war mir schon lange bekannt als überlanger Landschaftslauf mit anspruchsvollem Höhenprofil. Mein Freund und Lehrerkollege Walter lief da schon viele Male und berichtete nur Gutes. Der Lauf führt über die drei Kaiserberge bei Schwäbisch Gmünd, den Hohenstaufen, Rechberg und den Stuifen. Die Länge von 50 Kilometern und die 1.100 Höhenmeter hatten mich bisher noch abgeschreckt, ich war froh, einen normalen Marathon ordentlich durchzustehen. Aber für dieses Jahr traute ich mir diesen Ultra-Lauf durchaus zu und hatte mir auch fest vorgenommen, dieses Jahr dort zu laufen. Ich hatte daher die letzten Monate mein ganzes Training darauf abgestimmt, z.B. bin ich einige Bergläufe gelaufen, um die vielen Höhenmeter gut überwinden zu können:
Aber auch für die überlange Entfernung von 50 Kilometern hatte ich mich mit einigen langsamen Marathons sorgfältig vorbereitet:
Zudem habe ich bei den letzten vier Marathon Läufen die letzten Kilometer (5, 10, 14, 17) in meinem maximal möglichen Marathontempo zurückgelegt, um auch in diesem Stadium eines Trainingslaufes die Marathongeschwindigkeit zu trainieren.
Mit viel Selbstvertrauen ob meiner Vorbereitung sah ich also meinem ersten Ultra-Lauf entgegen.
Am Freitagabend kamen Bernhard und seine Lauffreunde Helene und Jens aus dem Trierer Raum. Bernhard und Helene wollten die 50 Kilometer laufen, Jens die 25,5 Kilometer. Ich hatte sie eingeladen, bei mir zu übernachten, um dann am nächsten Vormittag ausgeruht nach Schwäbisch Gmünd zu fahren. Wir kochten uns noch die obligatorischen Nudeln, um die Kohlenhydratspeicher aufzufüllen und tranken dazu eine Flasche Rotwein. Gegen 11.30 Uhr ging es dann ins Bett.
Um 7 Uhr standen wir auf, frühstückten und fuhren gegen 8.15 Uhr nach Schwäbisch Gmünd. Bereits unterwegs regnete es immer wieder recht heftig, und der Himmel sah sehr düster aus. Kurz vor 9 Uhr waren wir in der Schwerzerhalle in Gmünd, holten unsere Startunterlagen ab und vertrieben uns die Zeit in der Halle. Raus wollten wir nicht, denn da sah es sehr ungemütlich aus, immer wieder regnete es äußerst heftig und die Temperaturen waren auch nicht berauschend. Hoffentlich würde das noch besser! Der Wetterbericht hatte zwar für den Nachmittag besseres Wetter vorhergesagt, aber der Start war vormittags um 10.30 Uhr.
Während einer kurzen Regenpause gingen wir zum Auto, das wir ganz in der Nähe des Startbereichs abgestellt hatten und zogen unsere Laufklamotten an. Ich hoffte auf besseres Wetter und verzichtete daher auf eine Jacke: kurze Laufhosen, langärmliges Unterhemd, kurzärmliges Laufhemd - und Handschuhe! Beim Bodenseemarathon hatte ich unterwegs derart kalte Hände bekommen, dass ich dem diesmal vorbeugen wollte. Gegen eventuellen Regen nahm ich noch meine Schildmütze mit, die ich aber in meine Hose schob. Die wollte ich erst bei Bedarf aufsetzen. Wieder zurück in die trockene, warme Halle.
Zehn Minuten vor dem Start gingen wir in den Startbereich. Der Regen hatte aufgehört und trotz der vielleicht 8 Grad war mir erstaunlicherweise nicht kalt. Pünktlich ging es los und ich versuchte, mein Tempo von 6:00 min/km zu finden. Aus den Ergebnissen von Jürgen und Angelika von vor zwei Jahren, hatte ich mir etwa eine Zeit von 5:10 h für den Lauf ausgerechnet. Das wäre einigermaßen in der Mitte der beiden Ergebnisse, etwas nährer bei der Zeit von Angelika. Nun - ich würde ja sehen. Das Schöne und auch Spannende bei einem Landschaftslauf ist ja, dass die sich nie genau ausrechnen lassen.
Die 50-km- und auch die 25-km-Läufer starteten gemeinsam. Eine breite, dichte Schlange von etwa 800 Läuferinnen und Läufern bewegte sich aus Gmünd hinaus und ich mittendrin. Meine drei Begleiter hatten sich weiter hinten eingeordnet, sie wollten und konnten nicht so schnell wie ich laufen. Das Läuferfeld war so dicht, dass man "mitschwimmen" musste. Da war es gar nicht so einfach, ein eigenes Tempo zu laufen. Die ersten fünf Kilometer waren dann auch mit 5:51 pro km etwas schneller, als ich vorhatte. Aber bisher war es eben, und ich konnte mir das wohl leisten. An den Steigungen würde ich ja dann eh langsamer werden.
Kurz nach Kilometer 5 begann die erste Steigung. Sie war so moderat, dass alle noch problemlos laufen konnten. Natürlich wurde ich langsamer, aber ich war weiterhin guten Mutes. Das Wetter hatte sich beruhigt, dichte Wolken zwar, aber es sah nicht nach Regen aus. Die Handschuhe hatte ich bereits angezogen und daher mollig warme Hände.
Eine Zeit lang begleitete ich einen Läufer, der heute auch zum ersten Mal die 50 Kilometer lief. Er wohnte in der Gegend und kannte sich natürlich gut aus. Wir unterhielten uns ein wenig und keuchten gemeinsam die Steigung hoch. Plötzlich kam von hinten ganz langsam ein Hund vorbeigelaufen, mit einer Frau im Schlepptau. Der Hund hatte ein Brustgeschirr an, an der er mit einer etwa 3 Meter langen Leine mit der Frau verbunden war, die die Leine an einem Bauchgurt befestigt hatte. Der Hund lief sauber in einer Linie vornedraus, die Leine gespannt, so dass er wohl der Frau ein wenig mithalf. Dieses Gespann sollte mir heute noch oft begegenen.
Bereits vom Start weg musste ich pinkeln. Ich wollte aber so lange wie möglich warten, damit ich nur einmal raus musste. Jetzt, gegen Ende der Steigung entschloss ich mich, kurz in die Büsche zu gehen. Da konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: mich erleichtern und gleichzeitig den Puls wieder normalisieren.
Bei ca. Kilometer 10 hatten wir den ersten Anstieg hinter uns und es ging eben oder leicht bergab. Mein Schnitt auf den letzten fünf Kilometern lag bei ca. 6:35 - nicht berauschend, aber ich wollte mich am Anfang eher zurückhalten. Für ein höheres Tempo hatte ich zuviel Respekt vor dem, was vor mir lag. Die bisherigen 10 Kilometer hatte ich in 62:12 Minuten zurückgelegt. Wenn ich die 5:10 h schaffen wollte, müsste ich jede 5 Kilometer mit 30 Minuten laufen (Kilometerschnitt 6:00), dann hätte ich noch 10 Minuten Polster für die Steigungen. Das könnte knapp werden, da ich bereits jetzt 2:12 min von meinem Polster verbraucht hatte, die "richtigen" Steigungen über die drei Kaiserberge jedoch noch vor mir lagen. Während ich so vor mich hinlief gingen mir diese Gedanken durch den Kopf und erste Zweifel kamen auf, ob ich da auch eine realistische Zeit vorhatte. Ich müsste dazu auf den ebenen Streckenabschnitten schon deutlich schneller als 6 min pro Kilometer laufen, also sollte ich den moderaten Streckenabschnitt jetzt dazu nutzen.
Ich legte etwas zu, wurde aber von einem ekligen, kalten Gegenwind gebremst. Schnell suchte ich mir einen Läufer, hinter dem ich mich verstecken konnte. Tatsächlich ging es dann sehr viel leichter und es war auch nicht mehr so kalt. Mein Windschattengeber war aber etwas irritiert und meinte wohl, er wäre mir beim Überholen im Weg , machte also Platz. Ich beruhigte ihn und klärte ihn auf. Anstatt eines Windschützers hatte ich jetzt aber einen Begleiter. Er fragte immer wieder etwas und ich musste neben ihm laufen, damit ich antworten konnte. Also war es nichts mehr mit dem Windschatten Laufen. Glücklicherweise aber war der Wind schwächer geworden.
Mein Begleiter war diesen Lauf schon mehrmals gelaufen. Vergangenes Jahr hatte er mit 5:11h seine schnellste Zeit erreicht. Dieses Jahr hatte er nicht so viel trainieren können und würde wohl diese Zeit nicht ganz schaffen. "Aha", dachte ich, "dem schließt du dich an, der hat Erfahrung, der läuft etwa dein Tempo, dann kann ja nichts schief gehen." Ich erzählte ihm von meinen Zeitplänen für den heutigen Lauf, von meinem Training, vom Bodenseelauf, ließ mir von ihm die noch vor uns liegende Strecke erklären, seine bisherigen Erfahrungen damit - kurz, wir unterhielten uns blendend. Schon wieder 5 Kilometer vorbei: 30:53 min, das war beinahe in der Zeit, kaum mein "Polster" angegriffen. Die Strecke stieg jetzt langsam, aber kontinuierlich an, der Hohenstaufen, unser erster Berg lag als drohender Kegel vor uns und mein erfahrener Lauffreund hatte ein recht ordentliches Tempo. Wäre ich alleine gelaufen, hätte ich etwas reduziert.
Mein Mitläufer hatte eine Regenjacke an, die er jetzt auszog, da ihm offensichtlich warm geworden war. Da war ich mit meiner Kleidung aber vorausschauender gewesen! Eine Verpflegungsstelle kam in Sicht. Die erste hatte ich ausgelassen, bei der zweiten hatte ich einen warmen Tee genommen und hier, kurz nach Kilometer 15, trank ich nochmals einen warmen Tee. Zwar war mir nicht unbedingt kalt, aber auch nicht besonders warm. Ein paar Gehschritte, während der ich trank und dann ging es wieder weiter, beständig leicht bergauf, aber immer noch laufend. Der Wind trieb die Wolken vor sich her, der Himmel hatte sich verdüstert, es war kälter geworden und tatsächlich begann jetzt ein Eisregen, Graupel blieben auf meinen Ärmeln liegen. Ich holte meine Mütze aus der Hose und schützte so meine Brille und das Gesicht. Mein Begleiter zog wieder seine Regenjacke an. Aber nach bereits fünf Minuten hatte der Wind die Wolken weiter getrieben, es bildeten sich blaue Öffnungen, durch die ab und zu die Sonne schien und es hörte auf zu regnen. Ich konnte die Mütze wieder in die Hose stecken. Ab jetzt sollte es nicht mehr regnen.
Immer wieder "achtete" ich auf meine Oberschenkel. Tatsächlich signalisierten die bereits ganz zaghaft "schwächliche" Gefühle. Nicht Besorgnis erregend, aber ich wurde zur Vorsicht gemahnt. Immer noch über 30 Kilometer lagen vor mir und vor allem die drei Berge! Mein Begleiter lief immer noch einen Tick schneller, als ich es mir gewünscht hätte; aber das war ja der erfahrene Läufer, also wollte ich nicht widersprechen. Der Weg wurde etwas steiler und ich fiel immer wieder mal leicht zurück, konnte ihn aber jedes Mal wieder einholen. Die Unterhaltung wurde stockender, denn wir benötigten unseren Atem für das Laufen. Gegenüber den 118 Puls vom Anfang des Rennens lag ich jetzt bei ca. 135, kein Problem, erst zwischen 148 und 152 beginnt mein Schwellenbereich, der Bereich, indem die Sauerstoffaufnahme und der Verbrauch langsam aus dem Gleichgewicht kommen.
Der Weg wurde noch steiler und der Puls stieg jetzt deutlich über 140. Die Läuferinnen und Läufer um mich herum begannen zu gehen und auch ich schloss mich an. Schnellen Schrittes ging es nach oben, Puls immer etwas über 140. Mein Begleiter hatte sich leicht abgesetzt, aber bald hatte ich ihn wieder eingeholt. Im Gehen war ich offensichtlich effektiver als er. Da kam mir meine Erfahrung vom Matterhorn Lauf zugute. Dort musste ich sehr viel gehen und konnte das schnelle Gehen trainieren.
Kurz darauf war bei km 17 der erste Gipfel mit 684 Meter erreicht. 17 Kilometer und knapp 400 Höhenmeter (Start bei ca. 305 m) lagen hinter uns, als wir ganz oben auf dem Hohenstaufen waren. Da oben pfiff ein kalter Wind, der mir durch meine nassen Kleider blies und mich frösteln ließ. Wir umrundeten den Wendepunkt und machten uns auf den Weg nach unten. Endlich ging es bergab, da konnte ich Zeit gut machen. Von wegen! Es ging derart steil auf einem steinigen Naturweg bergab, dass die Anstrengung beinahe so groß war, wie beim Anstieg, vor allem Oberschenkel und Knie wurden sehr angestrengt. Mein Begleiter legte ein wahnwitziges Tempo vor und ich gab mir alle Mühe, ihm zu folgen. Als wir endlich nach langen Minuten ca. 150 Meter weiter unten waren und es einigermaßen eben weiterging, tat mein ganzer Leib weh. Vor allem die Muskulatur um die Hüften herum und die Aduktoren schmerzten ungewohnt heftig. Hoffentlich hatte ich mich da nicht übernommen.
Nun ging es einigermaßen eben weiter und bald hatten wir die 20-Kilometer-Marke erreicht. Der Anstieg hatte, wie erwartet, mehr Zeit gekostet, als der Abstieg gebracht hatte: 33:56 Minuten, schon wieder beinahe vier Minuten von meinem Zeitpolster verloren. In Anbetracht der zwei Anstiege vor mir, verabschiedete ich mich langsam von den 5:10 h. Das war wohl nicht mehr möglich. Auch mein Körper signalisierte die ungewohnte Belastung, nicht besorgniserregend, aber er mahnte schon zur Vorsicht. Ich hätte am Anstieg etwas langsamer machen sollen und nicht so verrückt abwärts rennen. Nun ja, dann musste ich mich eben ab jetzt etwas zurückhalten. Unterwegs überholte uns wieder die Frau mit dem Hund. Wieder war das Seil gespannt, also zog er immer noch. Ein paar wenige Meter liefen wir auf gleicher Höhe. Ich fragte sie, wer wohl eher schlapp machen würde, sie oder der Hund. Ohne Zögern zeigte sie auf sich. Der Hund würde die Strecke problemlos hinter sich bringen, meinte sie. Da es immer wieder mal leicht hoch ging, war sie, dank Hund, bald wieder vor uns.
Kurz nach Kilometer 20 kam die nächste Verpflegungsstelle. Ich nahm ein Cola, in der Hoffnung, dass das etwas Energie geben würde. Ich hatte den Becher bereits halb ausgetrunken, da sah ich, dass es auch Haferschleim gab, Kölln Schmelzflocken, aufgelöst in irgend einer Flüssigkeit. Davon hatte ich immer wieder mal gehört, dass das vor allem bei den Ultra-Läufen angeboten wird, weil es gut zur Energiegewinnung sei. Ich nahm also einen Becher und kippte ihn zu meinem Cola. Scheußliche Farbe, so etwas wie gräulich braun - schmeckte aber vorzüglich, alle Achtung, da hatte ich aber was entdeckt! Wenn es jetzt auch noch den nötigen Energieschub gab! Wie immer hielt ich mich nur ganz kurz an der Verpflegungssgtelle auf und war dann wieder auf der Strecke. Das Gelände war eben, aber in der Ferne "drohte" bereits der Rechberg, der sich ebenfalls kegelförmig aus der Landschaft hervorhob. Mein Mitläufer lief das selbe Tempo wie zuvor und ich lief ergeben, wider besseres Wissen, immer noch mit. Jetzt hatte ich so mit meinem guten Training angegeben, dann konnte ich doch nicht nachlassen. Ein paar Kilometer noch verleugnete ich meine Sorgen, wurde dann aber bewusst etwas langsamer und ließ in davonziehen. Bald hatte ich ihn aus den Augen verloren. War wahrscheinlich besser so, sonst wäre ich weiterhin verleitet worden, zu schnell zu laufen. Ich fühlte mich aber wieder besser, das Cola, in Verbindung mit dem Haferschleim wirkte offensichtlich.
Von meinen Fahrten bei der Alb Extrem Radfahrt her kam mir die Gegend jetzt bekannt vor. Wir liefen durch den Ort Rechberg auf der selben Straße, wie bei der Radfahrt. Allerdings ging es da am Ortsende wieder bergab und heute wurden wir bereits in der Ortsmitte nach links weg geführt, ganz hoch, bis auf die Spitze des Berges. Immer steiler wurde der Weg, so dass ich die letzten 400..500 Meter gehen musste. Kurz vor dem Gipfel war das 25 Kilometer-Schild. Schändliche 34:02 hatte ich für die letzten fünf Kilometer benötigt, insgesamt bisher also 2:41:03h. Da hatte ich jetzt schon mein gesamtes Zeitpolster von 10 Minuten verbraucht und war obendrein eine Minute im Minus. Ade die 5:10h! Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mich das in keinster Weise störte. Ich war bisher ein taktisch recht gutes Rennen gelaufen, hatte mich gerade so weit verausgabt, dass ich wohl das Ziel noch anständig erreichen würde, kurz ich hatte mein Bestes gegeben. Was sollte ich mich da grämen. Im Gegenteil, bisher hatte ich den Lauf außerordentlich genossen. Schöne Landschaft, schöne Strecke, anspruchsvolle Steigungen und in der letzten Stunde war tatsächlich immer wieder mal die Sonne zwischen den Wolken aufgetaucht. Was wollte ich mehr? Ich klopfte mir innerlich auf die Schulter, dass ich bei so einen Lauf noch so gut drauf war. Da spielten doch die paar Minuten keine Rolle! Und übrigens würde ich die letzten Kilometer noch "aufdrehen", wie ich das bei meinen Trainingsmarathons jedesmal geschafft hatte.
Nach wenigen Minuten war ich dann vollends oben auf dem Berg, in der Burgruine. Höhe 708 m, was wieder knapp 200 Höhenmeter ergab. Hier war auch das Ziel für die Läufer, die die 25,5 Kilometer laufen wollten. Die wurden nach rechts weg geführt und wir 50-Kilometer Läufer nach links. An der Verpflegungsstelle machte ich mir wieder den bewährten Mix aus Cola und Schleim, schnell hinuntergestürzt und weiter Richtung Weg nach unten. Falls ich beim Abstieg vom Hohenstaufen gemeint hatte, es ginge nicht mehr schlimmer, wurde ich jetzt eines besseren belehrt. Wohl noch etwas steiler ging es abwärts. Diesmal aber auf einem ganz schmalen, jedoch asphaltierten Wanderweg, der so steil war, dass ich kaum laufen konnte. Das Bremsen der Geschwindigkeit kostete derart viel Kraft in den Oberschenkeln, ging so in die Knie, dass ich mehr gehen musste, als ich laufen konnte. Dazu kamen noch die 25,5 km-Läufer, die sich langsam nach unten zu ihrem Bus bewegten und ständig im Weg waren.
Aber auch diese mehr als 160 Höhenmeter abwärts nahmen mal ein Ende und es ging ein kurzes Stück weit eben. Kaum hatten wir jedoch Rechberg verlassen, lag schon der nächste Berg, der Hohenstaufen, vor uns. Das war vermutlich der härteste Anstieg, denn es sollten nur Naturwege hoch führen. Aber ich würde ja sehen. Der nächste Kilometer stieg noch recht moderat an, führte in weitem Bogen auf Asphaltwegen durch Wiesen am Berghang entlang hoch. Wir näherten uns dem Wald, der den ganzen Berg bedeckte, bis hoch zum Gipfel. Plötzlich eine Biegung nach links und ein gekiester Weg begann der in den Wald hinein und steiler hoch führte. Den Weg, der rechts hoch führte kamen uns Läufer entgegen. Offensichtlich hatte man den Stuifen in einer Schleife eingebunden und die Entgegenkommenden hatten diese Schleife bereits hinter sich.
Guten Mutes lief ich den Weg hoch und bald ging es auf weichen, glitschigen Wurzelpfaden durch den Wald hoch, mal weniger steil, meist mehr. Meine Schuhe gaben nicht genügend Halt und ich rutschte mehr, als ich ging. Das nasse Wetter die Tage vorher hatten den Weg gehörig aufgeweicht, so dass er wirklich schwer zu laufen war. Dazu kamen die vielen Läufer, die heute schon da hoch gerannt waren und ihn noch tiefer gemacht hatten. Wenn es allzu steil wurde, ging ich in einen Gehschritt über. Vor und hinter mir weitere Läuferinnen und Läufer, die sich ebenfalls hochquälten. Schon wieder tauchte die Frau mit dem Hund hinter mir auf. Ich blieb kurz am Rand stehen und ließ sie vorbei. Wieder war die Leine gespannt und der Vierbeiner zog seine Herrin, so dass die einigermaßen müheloser vorankam. Aber ich konnte wieder aufschließen und ein paar Minuten lang lief mal sie vorne, mal ich. Ein paar wenige Worte wechselten wir, mehr ein Fluchen über den rutschigen Weg, der durch die vielen Füße vor uns auch nicht griffiger geworden war. Die Frau meinte noch, sie hätte gerne mal die Kondition wie die Spitzenläufer. Dann aber war das Gespann, dank dem vierbeinigen "Zugpferd" doch etwas schneller und ließ mich zurück. Kurz vor Kilometer 30 war endlich der Gipfel erreicht, mit 720 Metern heute die höchste Stelle. Oben am Wendepunkt bekamen wir einen Stempel auf unsere Startnummer und zurück ging es, den Berg auf einem etwas anderen Pfad nach unten. Für die letzten fünf Kilometer hatte ich 41:45 Minuten benötigt, kein Wunder bei der rutschigen Strecke. Mit insgesamt 3:23 h hatte ich mein Polster jetzt schon um 13 Minuten überzogen. Das konnte nichts mehr werden, vor allem, weil ich jetzt auch langsam die nachlassenden Kräfte bemerkte. Schneller konnte ich wohl kaum laufen.
Wieder musste ich langsam tun, diesmal weniger wegen des Gefälles, sondern mehr wegen des rutschigen Weges. Man musste höllisch aufpassen, dass man nicht ausrutschte. Später sah ich viele Läufer, die hier wohl "Bodenkontakt" hatten. Ich selbst hatte nur auf einer schräg abfallenden Wiese Probleme. Urplötzlich rutschte ich mehr als fünf Meter nach unten, konnte mich aber gerade noch auf den Beinen halten.
Bald aber wurde der Weg besser und ich erreichte die Stelle, wo sich die aufsteigenden und die absteigenden Läufer begegneten. Welch ein Zufall, kam doch gerade Bernhard hoch gelaufen. Er sah noch recht gut aus, hatte sich offensichtlich noch nicht verausgabt. Er fragte mich, wie die Strecke den Berg hoch sei und ich machte ihm ein wenig Angst vor dem üblen Weg und schon trennten sich unsere Wege wieder. Ich lief nach links weiter und erwartete keine nennenswerten Steigungen mehr. Die drei Berge waren überwunden und jetzt musste es ja wieder abwärts gehen. Ich spürte aber eine leichte Übelkeit und machte etwas langsamer. Sofort war mir wieder besser. An der Verpflegungsstelle kurz danach mischte ich mir mein bewährtes Getränk aus Cola und Haferschleim, trank es im Gehen und trabte dann weiter. Nur noch wenige Wolken waren am Himmel, so dass die Sonne recht häufig schien. Meine Handschuhe hatte ich längst ausgezogen und in meiner Hose verstaut. Wir liefen auf einer unbefahrenen Straße durch eine schöne Landschaft, links und rechts Wiesen, vor uns eine bewaldete Anhöhe, die man umrunden musste. Schon wieder kamen mir Läufer entgegen. Wie lange die Schleife war, wusste ich nicht, denn ich hatte mir den Streckenverlauf nicht genau eingeprägt. Entgegen meinen Hoffnungen ging es schon wieder beständig leicht berauf. Sicher war meine Geschwindigkeit nicht berauschend, aber ich war froh, dass ich noch so gut vorankam und meine kurze Schwächeperiode überwunden war.
Kilometer 35 war erreicht und mit 35:10 war ich wieder etwas schneller, allerdings immer noch zu langsam um die verlorene Zeit einzuholen. Aber die höchste Stelle war erreicht und jetzt ging es tatsächlich ständig leicht bergab oder eben. Mein Puls lag mit etwa 133 noch recht ordentlich, aber ich wollte noch nicht sehr viel schneller laufen, sonst könnte ich vielleicht in Schwierigkeiten kommen. Ich fühlte mich wieder recht ordentlich, auch wenn mir alle möglichen Stellen am Leib leichte Schmerzen signalisierten. Ich passierte die Stelle, an der es den Stuifen hoch ging, die Schleife lag hinter uns und ich lief einigermaßen gleichmäßig. Tatsächlich waren dann die nächsten fünf Kilometer mit 31:02 noch schneller, aber erst wenn ich die fünf Kilometer unter 30 Minuten lief, machte ich Zeit gut. Die Gesamtzeit bis Kilometer 40 war exakt 4:30 h. Wenn die letzten 10 Kilometer ordentlich liefen, konnte ich vielleicht etwas Zeit aufholen, die 5:10 h waren aber definitiv nicht mehr zu schaffen.
Der Weg führte jetzt nach Waldstetten und durch den Ort hindurch. Schon wieder kam die Frau mit Hund von hinten auf. Beide wirkten nicht mehr ganz so frisch. Der Hund hatte offensichtlich Durst. An jeder Pfütze blieb er stehen und wollte trinken. Mehr als ein oder zwei Zungenschläge reichte es aber nie, da ihn die Frau jedesmal überholte und ihn dann das Seil weiterzog. Mühelos zog er dann an ihr vorbei und war wieder vorne, bis das Spiel an der nächsten Pfütze sich wiederholte. Obwohl dadurch der Laufrythmus der beiden etwas holprig war, waren sie doch ein klein wenig schneller als ich. Waldstetten lag jetzt hinter uns und die Strecke schlängelte sich durch eine Weidelandschaft und immer wieder an einem Bauernhof vorbei. Dummerweise kamen ab und zu Wegstücke, die so anstiegen, dass ich jedes Mal gehen musste. Aber darauf war ich vorbereitet, das hatten mir alle erzählt, die den Lauf schon mal gemacht hatten. Aus diesen Erzählungen wusste ich aber auch, dass dann die letzten sechs, sieben Kilometer wirklich nur noch eben, oder ganz leicht nach unten gingen. An der Verpflegungsstelle bei Kilometer 44 nahm ich nochmals meinen bewährten Getränkemix und strebte dann eilig dem Ziel entgegen. Jetzt musste sich mein Training bewähren. Die letzten Marathonläufe hatte ich ja jedesmal die letzten Kilometer nochmals Tempo zugelegt. Ich traute mir das auch jetzt noch zu. Also legte ich los. Zwar schmerzte mich mein Leib, aber tatsächlich lief es ganz gut. Läufer um Läufer überholte ich. Der Weg führte die letzten sechs Kilometer auf einer ehemaligen Bahntrasse entlang. Dazu lag das Ziel nochmals etwa 80 Höhenmeter tiefer, so dass es unmerklich abwärts ging. Da sah ich vor mir den erfahrenen Läufer, mit dem ich ziemlich lange gelaufen war und der mir dann kurz vor Rechberg zu schnell war. Jetzt aber war er deutlich langsamer. Im Vorbeilaufen wechselten wir nochmals ein paar Worte. Er meinte, dass ich mir offensichtlich meine Kräfte besser eingeteilt hätte als er, seine Reserven seinen erschöpft. Tatsächlich machte er keinen guten Eindruck mehr. Ich hielt mich nicht lange auf und zog vorbei. Er kam dann tatsächlich erst etwa 10 Minuten nach mir ins Ziel.
Bei Kilometer 45 hatte ich mit 5:02:24 h schon wieder beinahe drei Minuten verloren, obwohl ich doch recht flott unterwegs war. Das waren die kurzen Anstiege zwischen 40 und 42! Aber ich fühlte mich noch super und legte zu. Die nächsten Kilometer waren mit jeweils 5:22 tatsächlich deutlich schneller. Ich fühlte mich immer besser, beinahe in Euphorie, spürte auch keine Schmerzen mehr und legte den vorletzten Kilometer mit 5:00 nochmals schneller zurück. Noch einen Kilometer! Mein Puls war mit 157 längst im anaeroben Bereich. Von meinen letzten Marathon-Rennen wusste ich, dass ich noch etwas höher gehen konnte. Der Weg führte auf dem letzten Kilometer auf einer topfebenen Alleestraße nach Gmünd hinein. Mein Puls lag zwischen 165 und 168, aber das sollte mich jetzt nicht mehr kümmern.
Endlich im Ziel! Mit 4:45 Minuten hatte ich den letzten Kilometer geschafft! Dank der schnellen, letzten fünf Kilometer hatte ich tatsächlich noch deutlich unter 5:30 h an: 5:26:49 Stunden, da hatte ich doch tatsächlich noch beinahe sechs Minuten gut gemacht! Zwar war ich 16 Minuten langsamer als geplant, aber ich war vollauf zufrieden mit mir. Dass ich die 50 Kilometer so gut hinter mich gebracht hatte freute mich. Das machte mir Mut für meine Pläne für 2003.
Das Wetter war wieder etwas schlechter geworden. Es war bewölkt, kalt und windig. Von Jens war weit und breit nichts zu sehen. Wo der wohl war? Recht zügig ging ich also ans Auto und zog mir trockene Kleider an. Dann ging ich zurück in den Zielbereich. Bernhard konnte noch nicht kommen, der würde sicher mehr als eine halbe Stunde nach mir einlaufen. Aber Helene war vielleicht schneller. Ich trieb mich noch etwa 10 Minuten im Zielbereich herum und schaute dann in die Halle. Tatsächlich traf ich da Jens bei einem Bier. Auch Helene saß frisch geduscht da. War die tatsächlich vor mir durchs Ziel gelaufen? Nein! Bereits beim ersten Berg war ihr klar geworden, dass heute nicht ihr Tag war. Das kalte Wetter und der zweite Anstieg zum Rechberg hatten sie vollends zermürbt, so dass sie bei 25,5 mit den anderen aufgehört hatte. Ein vernünftiger Entschluss! Sie kam automatisch in die Wertung der 25,5 km-Läufer und wurde dort in ihrer Altersklasse noch erste!
Später gingen wir wieder nach draußen, um auf Bernhard zu warten. Über eine halbe Stunde war jetzt vergangen, seit ich durchs Ziel gelaufen war. Frierend standen wir in der Kälte herum und warteten. Langsam kamen uns ernste Zweifel, ob er noch vor Zielschluss ankommen würde. Tatsächlich lief er dann als einer der letzten ein, deutlich mehr als eine Stunde nach mir. Aber er sah gut aus, hatte den Lauf bestens überstanden und ebenfalls genossen.
Wir gingen wieder in die Halle, Bernhard trank ein Bier, holte sein T-shirt ab, das er dafür erhielt, dass er drei Ultraläufe geschafft hatte: 76km Rennsteig, 100 km Biel und heute den Schwäbische Alb Marathon. Gratulation - solche Leistungen vollbringen nicht sehr viele! Danach ging es zügig nach Hause.
Dieser Lauf war mein erster Ultra Marathon, mein 10. Marathon dieses Jahr, mein 17. Marathon insgesamt. Ich kannte jetzt einigermaßen meinen Körper, wusste seine Schwachstellen, wusste aber auch, was ich mir zutrauen konnte. Das Jahr 2002 hatte ich unter dem Blickwinkel der Bestzeit begonnen. In Rom hatte ich die eingestellt, im Sommer die Freude am Landschaftsmarathon entdeckt (Zermatt) und die Bestzeit war mir nicht mehr besonders wichtig. Vor allem wollte ich ja Bestzeit laufen, damit ich mich auf Grund eigener Leistungen für Boston qualifizieren konnte. Im Laufe des Jahres aber hatte man die Qualifikationszeiten für meine Altersklasse um 10 Minuten vermindert, so dass meine 3:44 h bereits gereicht hätten. Daher war mir Boston gar nicht mehr so wichtig. Die dazu notwendige Qualifikationszeit konnte ich jederzeit laufen. Das würde ich aber erst dann machen, wenn ich genau wusste, wann ich nach Boston fahren wollte und auf Grund verschiedener Faktoren war das in 2003 sicher nicht der Fall. Ein neues Ziel musste her.
Bereits im Sommer hatte ich mir vorgenommen, nochmals in Zermatt zu laufen. Da will ich unbedingt eine deutlich bessere Zeit laufen. Auch den weltberühmten Jungfrau Marathon, hoch bis zum Fuße der Eiger Nordwand, will ich mitmachen. Die 76 Kilometer des Rennsteiglaufs sind auch in meiner Planungn und wenn ich die schaffte, dann könnte ich auch die 100 Kilometer von Biel laufen. Der Rahmen für das nächste Jahr ist damit gesteckt.
Aber ...
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