Berlin-Marathon

Der Weg nach Boston: Phase II

Wie bereits in meinem Bericht über den ebm-Marathon im September 2001 beschrieben, möchte ich in Berlin die Qualifikationszeit von 3:35 h für Boston laufen. Ich hatte mich gut vorbereitet, das i-Tüpfchelchen jedoch fehlte. Vor meinem Lauf in Paris im Frühjahr war ich recht konsequent: drei Monate keinen Tropfen Alkohol, richtige Ernährung und striktes Einhalten meines Trainingsplanes. Die Vorbereitung für Berlin war nicht ganz so zielstrebig. Während der heißen Zeit schmeckte mir das Hefeweizen viel zu gut und auch mit dem Training war ich nicht ganz so planvoll. Trotzdem kam ich auf etwa 60-80 Kilometer pro Woche und auf acht lange Läufe:

Datum
Zeit
Strecke
Schnitt [min/km]
So., 5.8. 3:30 32 6:34
So., 12.8. 2:53:52 30 5:47
So., 19.8. 3:23:25 32 6:21
So., 26.8. 2:53:35 30 5:47
Sa., 1.9. 2:34:23 28 5:30 (HM Rommelsh.)
Sa. 8.9. 4:30:53 42,2 6:25 (ebm)
So., 16.9. 3:10:30 30 6:21
Fr., 21.9. 2:42:24 31 5:14 (Marathontempo)

Beim Essen sündigte ich auch etwas, so daß ich mit 73 kg in Berlin an den Start ging. Ideal wären 69 kg gewesen. Na ja, ich hatte dieses Jahr bereits drei Marathon Läufe gemacht und eine entsprechend gute Kondition, die mußte das ausgleichen.

Bereits im Mai hatte ich mich angemeldet und meinen Startplatz auch bestätigt bekommen. Übernachten konnte ich bei Manfred, einem alten Freund aus Jugendzeiten und seiner Familie.

Am Donnerstag der vorletzten Woche machte ich ein Intervalltraining auf der Bahn: 3 mal 5 Kilometer in jeweils 5:00 min pro km. Lief bestens! Am Tag darauf lief ich noch 31 Kilometer etwa in meinem angepeilten Marathontempo (5:13). Auch das lief bestens. Am Sonntag absolvierte ich einen langsamen 12 Kilometerlauf und am Montag machte ich noch eine schnelle 10 Kilometer Einheit mit dem Lauftreff. Bis dahin kein Problem. Ich fühlte mich fit für die restlichen Einheiten: Am Dienstag stand ein 1,5 h-Lauf auf dem Programm, am Mittwoch eine langsame Einheit von einer Stunde und am Donnerstag nochmals 45 Minuten langsam. Aber es sollte anders kommen!

Das ganze Jahr über hatte ich keine Beschwerden, die mir hätten Sorgen machen müssen, auch von Erkältungen blieb ich verschont. Im Laufe des Dienstags spürte ich eine aufkommende Erkältung. Das durfte doch nicht wahr sein! Auch Ute kam abends nach Hause und klagte über Heiserkeit. Ich strich also sämtliche Läufe und nahm in der Nacht eine Aspirin Tablette. Zur Stärkung der Immunabwehr hatte ich in den letzten Wochen täglich drei Tabletten Tonsilgon eingenommen. Ich erhöhte auf fünf Tabletten. Tatsächlich fühlte ich mich am Donnerstag recht gut. Ich hatte wohl gerade noch das Unglück abwehren können.

Freitag, 28. September

Am Freitag ging es dann mit Ute per Auto nach Berlin. Viele Staus auf der Autobahn verlängerten die Fahrt auf über acht Stunden. In der Nacht hatte ich wieder ganz leichtes Fieber, schlief aber trotzdem recht gut. Was sollte ich machen? Ich wollte mal abwarten, wie es mir am Samstag erging.
 

Samstag, 29. September

Während Ute zuhause blieb, fuhr ich in aller Herrgottsfrühe mit S- und U-Bahn zum Charlottenburger Schloß. Dort begann um 9:30 Uhr der Frühstückslauf, 6 Kilometer "janz langsam" zum Olympiastadion. Wie angekündigt fanden sich viele tausend Läuferinnen und Läufer ein. Alle bunt gekleidet, viele Gruppen mit identischen T-shirts. Fahnen, Musikinstrumenten, Luftballons. Es war eine ausgelassene Stimmung auf dem Startgelände. Pünktlich zum Start wurden hunderte Luftballons in die Luft gelassen und dann ging es los, wie versprochen "janz langsam". Schon nach einem Kilometer merkte ich ein unangenehmes Ziehen in meinen Waden. Gut, daß der Marathon noch nicht heute war und ich mich wieder an die Belastung gewöhnen konnte. Der Läufertross wurde von Polizeifahrzeugen begleitet und an den Kreuzungen wurde der Verkehr umgeleitet, so daß wir ungestört laufen konnten.

Nach einem kurzweiligen Lauf von etwa 45 Minuten trafen wir vor dem Olympiastadion ein. Ganz überrascht war ich, als da tatsächlich ein Frühstücksbuffet aufgebaut war: Milch, Saft, Kaffee, Tee, Croissants, Kuchen, Bananen, Äpfel, Yoghurt - alles war in Hülle und Fülle vorhanden. Man konnte  essen soviel man wollte. Als sich die Leute nach einer knappen Stunde langsam zerstreuten, war immer noch genügend da. Alle Achtung, das war eine tolle Organisation.

Der Feuerbacher Lauftreff hatte die letzten 9 Monate Laufanfänger für den Berlin Marathon vorbereitet. Tatsächlich traf ich die gesamte Truppe beim Buffet. Auch Helmut Hermann vom Stammheimer Lauftreff war da. Wir redeten ein wenig miteinander, tauschten ein paar Informationen aus und dann fuhr ich mit der Bahn zum Messegelände, um meine Startunterlagen abzuholen und auf der Sportmesse verschiedenes anzuschauen. Ich trieb mich ein paar Stunden in der Halle herum, schaute mir ausführlich alles an und kaufte für den Lauf ein paar Energie-Riegel und auch Power-Gel, um unterwegs Energie tanken zu können. Um 14 Uhr aß ich auf der Pasta-Party die obligatorischen Nudeln (hätte mehr sein können) und fuhr dann wieder zurück nach Lichterfelde, zu unserer Unterkunft bei Manfred.

Eigentlich hatte ich mich den ganzen Tag über recht passabel gefühlt und war daher guter Dinge, die Erkältung überwunden zu haben. Gegen 10 Uhr ging es ins Bett und tatsächlich schlief ich prima und ohne erhöhte Temperatur. Der Lauf war gerettet!

Sonntag, 30. September

Auf 5:15 Uhr war der Wecker gestellt. Ich wachte etwas früher auf und stellte fest, daß ich vergessen hatte, das Klingeln auch zu aktivieren. Glück gehabt! Abends bereits hatte ich alles hergerichtet, so daß ich mich nur noch anziehen und eine Kleinigkeit essen mußte. Dann machte ich mich mit meinem Kleiderbeutel auf zur S-Bahn. Während der Fahrt stiegen immer mehr Läufer und Läuferinnen ein. Am Potsdamer Platz mußte ich umsteigen in die U2. Die ganze Station war überfüllt. Zu tausenden wollten sie alle zum Ernst-Reuter-Platz. Wider Erwarten kam ich aber problemlos weg mit der ersten Bahn, die einfuhr. Kurz nach sieben Uhr war ich im Startbereich.

Ich schaute mich in dem riesigen Startbereich noch etwas um, vor allem suchte ich den Lastwagen, wo ich meine Kleider abgeben konnte. Start und Ziel waren nicht identisch. Daher konnte man die Kleider, die man anhatte und nach dem Lauf wieder anziehen wollte, in einem Lastwagen abgeben, der sie dann in den Zielbereich transportierte. Ich weiß nicht genau, aber es waren sicher 50-60 Lastwagen, die dafür vorgesehen waren. Die Lastwagen waren jeweils für ein paar hundert Startnummern zuständig. Nachdem ich ihn gefunden hatte, suchte ich ein Zelt auf, in dem man sich umziehen konnte. Der Wetterbericht hatte Bewölkung vorhergesagt mit der Möglichkeit, daß es auch etwas regnen könnte. Bis jetzt sah es nicht nach Regen aus, also verzichtete ich auf eine Mütze. Auch die Temperatur war angenehm. Ich zog meine kurzen Laufhosen an, ein kurzärmliges Hemd und darüber mein ärmelloses Laufhemd mit der Startnummer.

Aus alter Erfahrung heraus stellte ich mich dann in eine Schlange vor eines der vielen dixi-WC-Häuschen. Wohl eine viertel Stunde mußte ich warten - aber es hatte sich gelohnt. Das erste Mal lief ich einen Marathon, bei dem ich überhaupt nicht austreten mußte!!!!

Schon während ich vor dem WC wartete, hatte um acht Uhr ein Warm-Up mit Musik und "Vorturnern" begonnen. Nachdem ich endlich dran war, reihte ich mich in die Menge ein und machte die Übungen mit. Einlaufen konnte man im Startbereich eh nicht. Um halb neun war das Aufwärmen beendet und ich gab ich meinen Kleiderbeutel an dem für mich vorgesehenen Lastwagen ab, aß nebenher einen Energieriegel und ging dann zu meinem Startblock. Problemlos konnte ich mich dort weit nach vorne stellen. Bei meinen bisherigen Läufen hatte ich festgestellt, daß sich viele Läufer nicht entsprechend ihrer Leistung aufstellen, sondern der Meinung sind, wenn sie ganz von vorne starten, würden sie wichtige Sekunden gewinnen. Ist natürlich Blödsinn. Die halbe Minute, die man dabei schneller loskommt, macht doch bei einer Zeit von 4:30 Stunden oder schlechter nichts mehr aus. Was diese Läuferinnen und Läufer aber an Durcheinander produzieren ist ihnen vermutlich nicht bewußt. Da sie ihr langsames Tempo einigermaßen auch am Anfang schon einhalten, muß man als schnellerer Läufer die ersten Kilometer ständig überholen, d.h. Zickzack laufen, was viel Kraft und vor allem Zeit kostet. Diesmal also hatte ich mir vorgenommen, mich möglichst weit nach vorne zu stellen, so daß ich unbehindert laufen konnte und das gelang mir auch. Im vordersten Block vorne waren die Eliteläufer, die den Lauf unter 2:30 h laufen konnten. In den nächsten drei Blocks waren alle Läufer die schneller als 3:30 h laufen konnten. Ich war im gelben Startblock eingeteilt, dem vorletzten Block. Vor uns nur noch die schnellen Läuferinnen und Läufer und ich konnte mich tatsächlich in meinem Block ganz vorne aufstellen.

Noch 15 Minuten bis zum Start. Das Brandenburger Tor wurde zur Zeit renoviert und von den fünf Durchgängen waren nur drei für die Läufer frei. Man befürchtete daher einen Stau vor den Durchgängen und wollte die einzelnen Blocks mit jeweils fünf Minuten Abstand starten, so stand es wenigstens in meinen Startunterlagen. Ich richtete mich also darauf ein, daß mein Startblock erst 20 Minuten nach dem Startschuß loslaufen durfte. War alles Blödsinn, auch unser Block lief mit dem Startschuß los, auch wenn es dann noch ein wenig dauerte, bis wir über die Startlinie kamen. Vermutlich wurde nur der letzte Startblock etwas zeitverschoben gestartet.

Immer wieder warfen jetzt die Läufer ihre alten Klamotten, die sie zum Warmhalten angelassen hatten, nach links an den Straßenrand. Wie üblich in den Minuten vor dem Start war die Stimmung aufgekratzt, alles lachte und schwatzte durcheinander. Auch ich war natürlich gespannt, freute mich auf den Lauf und beobachtete alles, was um mich herum vorging. Unser Block war durch ein Gummiseil, quer über die Straße, vom Block vor uns getrennt. Wenige Minuten vor dem Start wurde das Seil nach oben gehalten und unser ganzer Block schob sich nach vorne und füllte den freien Platz im vorigen Block vollends aus.

Der Start selbst war recht unspektakulär. In Paris wurde die Menge während des Wartens durch Techno-Musik und Lautsprecherdurchsagen angeheizt. Zum Startsignal wurde rückwärts von 10 nach Null gezählt - die ganzen 22.000 Läufer machten mit. Da kann man sich vorstellen, was das für eine Stimmung war. In Berlin dagegen war alles ruhig, keine Musik, keine Lautsprecherdurchsagen, kein Zählen, nichts, rein gar nichts. Obwohl ich höchstens fünfzig Meter von der Startlinie entfernt war, hörte ich nicht mal den Startschuß. Dafür ging es recht zügig los. Nach noch nicht mal zwei Minuten lief ich über die Startlinie und konnte ungehindert loslaufen - und das bei über 30.000 Teilnehmern.

Geradewegs die Straße des 17. Juni hinunter Richtung Großer Stern mit der Siegessäule (Goldelse). Diese Straße ist so breit, daß die ganzen Menschenmassen ohne Behinderung laufen konnten. Wie es weiter hinten aussah, weiß ich nicht. Wider Erwarten sah ich nach fünf Minuten auch bereits das erste Kilometerschild. Meine Zeit 5:05. Natürlich zeigte mein Pulsmesser die ersten Kilometer sinnlose Werte. Es waren einfach zu viele Leute um mich herum, die auch einen Sender hatten. Trotz der vielen Läufer fühlte ich mich nie behindert. Ich konnte mein Tempo ohne Störungen laufen. Beim Durchgang durch das Brandenburger Tor (Kilometer 3,2) gab es zwar einen kurzen Stau, der sich aber nach wenigen Sekunden auflöste und ich konnte weiter mein Tempo laufen.

Im Gegensatz zu Paris, wo ich jede wesentliche Sehenswürdigkeit kenne, war mir Berlin vollkommen fremd. Ich hatte überhaupt keinerlei Vorstellung von der Stadt und von den wesentlichen Plätzen oder Gebäuden. Ich hatte mich auch überhaupt nicht auf die Strecke vorbereitet. Entsprechend orientierungslos lief ich dann auch im Läufertross mit und nahm nur ganz wenig wahr. Auffallend waren für mich die breiten Straßen, nahezu alle mit einem Grünstreifen mit Bäumen in der Mitte, die ein störungsfreies Laufen zuließen. Ich konnte sogar meist auf der blauen Linie laufen (Ideallinie).

Bei Kilometer fünf hatte ich eine Zeit von 25:39 - eigentlich ideal, wenn ich das durchhalten würde. Die Getränkestellen hielten mich immer ein wenig auf. Es dauerte schon etwas, bis man durch die Läuferschar hindurch am Tisch war, um den Becher zu greifen. Ich hatte mir schon seit langem angewöhnt, den Becher im Gehen leer zu trinken und erst dann wieder los zu laufen. Alles in allem kostete mich jede Station wohl 20 Sekunden. Zum Glück war ideales Wetter, so um die 15°, bewölkt, kein Regen. Ich schwitzte nicht so stark, so daß ich meist nur alle fünf Kilometer eine Station anlief und die dazwischen liegenden kaum nutzte.

Unglaublich war die große Zahl an Zuschauern, die die Strecke an beiden Seiten säumten. Es gab nur wenige Streckenabschnitte, an denen niemand stand. Teilweise bildeten sie Zweierreihen oder standen noch dichter. An "jedem Eck" spielte eine Band, oder ein Alleinunterhalter oder es dudelte aus irgend einem Fenster Musik. Die Zuschauer selbst hatten häufig irgend welche Krawallinstrumente die sie lautstark betätigten, hielten Fahnen und Transparente hoch und schauten aufmerksam nach ihren Bekannten unter den Läufern Ausschau. Immer wieder wurden wir angefeuert, wurde Beifall geklatscht.

Wie gesagt kannte ich die Strecke nicht und lief so vor mich hin, kümmerte mich nicht um die Gebäude, horchte in meinen Körper hinein, achtete auf die blaue Linie oder beobachtete die zahllosen Läuferinnen und Läufer um mich herum. Und natürlich schaute ich immer wieder auf meinen Pulsmesser, der schon nach etwa zwei Kilometern vernünftige Werte anzeigte. Mein idealer Puls für mein anvisiertes Tempo liegt so bei etwa 135 und so lief ich auch. Für die zweiten 5 Kilometer hatte ich mit 25:47 Minuten nur wenige Sekunden länger als für die ersten 5 Kilometer gebraucht. Also alles noch ideal. Ich fühlte mich immer noch fit.

Meine Verpflegung für unterwegs hatte ich an zwei Stellen verstaut. Aus Erfahrung heraus laufe ich nie ohne Klopapier, das ich in einer Plastiktüte in meiner Hose mitnehme. Dort hatte ich einen Beutel Energiegel deponiert. In meinem Waschlappen, mit dem ich mir den Schweiß abwische, hatte ich einen weiteren Beutel Gel und einen Energieriegel. Bei etwa Kilometer 12 aß ich erst Mal den Riegel.

Mein Puls lag immer noch bei etwa 135, nur die Zeit für die dritten 5 Kilometer war mit 26:13 etwas zu langsam. Aber ich wollte lieber nicht schneller laufen, das könnte ich gegen Ende bereuen. Also weiter in meinem Tempo. Der Puls wurde langsam etwas höher und meine Kilometerzeiten langsamer: 5:16, was auf den nächsten fünf Kilometern eine Zeit von 26:29 bedeutete, nahezu eine Minute langsamer als die ersten fünf Kilometer, Puls etwa 138. Sicher hätte ich schneller laufen können, aber ich hatte erst die Hälfte hinter mir und die schwereren Kilometer auf der zweiten Hälfte noch vor mir. Also lieber zurückhalten und ab Kilometer 35 anziehen, wenn das dann noch ging.

Jetzt nahm ich mein erstes Powergel und spülte das Zeug an der nächsten Verpflegungsstation mit Wasser runter. Dann noch ein Stückchen Banane und weiter, wie mein Gefühl und mein Pulsmesser mir sagte und der zeigte jetzt Werte um 140. Immer noch im grünen Bereich, denn es ist normal, daß der Puls bei gleichem Tempo mit der Laufdauer zunimmt. Nur daß bei mir der Puls zunahm und die Geschwindigkeit stets leicht abnahm. Bei Kilometer 25 zeigte die Uhr 27:00 Minuten. Schon wieder etwas langsamer. Na ja, mußte alles mit der Aufholjagd ab Kilometer 35 wieder hereingeholt werden ;-).

Die Zuschauerdichte hatte nicht abgenommen. Dummerweise hatte ich nicht gefragt, wo sich Manfred und Uta hinstellen wollten, so daß ich jetzt auch noch die Zuschauer absuchen mußte. Eigentlich unmöglich, die standen viel zu dicht und vor allem beidseits der Strecke. Ich tat mein Bestes, aber das genügte diesmal nicht, ich sah sie den ganzen Rest der Strecke nicht und sie mich auch nicht.

Kilometer 30. Zeit 27:20, das war ein Kilometerschnitt von 5:28. Wenn ich so weiter lief, dann erreichte ich die Qualifikationszeit für Boston auf keinen Fall. Auch kein Beinbruch, im Frühjahr wollte ich eh in Rom laufen und dann auch noch Boston drei Wochen später - das würde bedeuten, daß eines davon verschoben werden muß. Da meine finanziellen Mittel derzeit  etwas klamm sind, die Qualifikationszeit vermutlich nicht zu schaffen ist, laufe ich sie eben nächstes Jahr in Berlin und Boston dann erst 2003.

Dunkel erinnerte ich mich, daß jetzt ein längerer sanfter Anstieg (etwa 20 Höhenmeter) kommt, bis etwa Kilometer 34 und es danach stets ganz leicht bergab geht, bis ins Ziel. Ich hatte das Gefühl, daß ich noch etwas zulegen konnte, sparte mir aber meine Kräfte bis ich den höchsten Punkt erreicht hatte und wollte erst dann durchstarten. Und so klappte es dann auch. Ich konnte tatsächlich zulegen. Trotz des schnellen Kilometers bis 35 war ich die letzten fünf Kilometer nur noch 27:28 gelaufen, meine schlechtesten fünf Kilometer. Der Anstieg hatte Zeit gekostet.

Die Zuschauerdichte hatte ab Kilometer 33..34 rapide zugenommen. Jedes Fleckchen am Wegesrand war mehrfach besetzt. Ich nahm den Beifall für uns Läufer kaum noch wahr, legte noch etwas zu und überholte die Teilnehmer reihenweise - Kilometerschnitt 5:13, das konnte sich sehen lassen. Der nächste Kilometer dann in 4:58! Nur weiter so! Und noch ein schneller Kilometer mit etwa 4:50, so konnte es weitergehen! Plötzlich wurde mir leicht übel. Achtung! das kannte ich bereits. Bei meinen ersten langen Läufen bekam ich danach regelmäßig Kreislaufprobleme und mußte mich hinlegen, damit mir nicht schlecht wurde. Das wollte ich keinesfalls erleben, denn dann wäre meine bisherige, recht ordentliche Zeit total versaut. Also nahm ich das "Gas" etwas zurück und brauchte für den nächsten Kilometer 5:30.

Kilometer 40 - nur noch 3,195 Kilometer. Ich fühlte mich wieder ordentlich, aber nicht so, daß ich noch zulegen wollte. Also weiter mit vernünftiger Geschwindigkeit und das waren leider nur noch 5:25 und auf den letzten 1,5 Kilometern gar 5:36. Diese letzten 1,5 -2 Kilometer auf dem weltberühmten Kurfürstendamm habe ich gar nicht gut in Erinnerung. Die Prachtstraße zog sich elend lang hin und immer suchte ich in der Ferne das Ziel, das einfach nicht in Sicht kommen wollte. Die Mitleidenden um mich herum nahm ich gar nicht mehr wahr. Auch die Zuschauermassen die uns anfeuerten interessierten mich nicht mehr. Ich hielt nur noch Ausschau nach dem Ziel. Als ich schon ganz verzweifelt war, sah ich weiter vorne, daß die Staße einen leichten Knick nach rechts machte. Dort mußte die Ziellinie sein. Endlich! nur noch ein paar hundert Meter und der Lauf war zuende. Gott sei Dank!

Ich kam gut ins Ziel! 3:44:42, drei Stunden, 44 Minuten und zweiundvierzig Sekunden. Persönlicher Rekord, etwa zwölf Minuten schneller als in Paris, nicht ganz so schnell, wie erhofft, aber ich war vollauf zufrieden und glücklich. Die neun Minuten, die mir für Boston fehlen störten mich im Augenblick nicht, die werde ich schon noch schaffen, da bin ich mir ganz sicher. Den Plan dazu habe ich bereits im Kopf. Ich war einfach zufrieden mit mir, daß ich den Lauf so gut überstanden habe.

Der Schluß ist schnell erzählt. Riesen Gedränge im Zielbereich und die folgenden zweihundert Meter. Erst ein Becher Wasser, dann die Medaille abgeholt, keine Banane, das würde mir nicht bekommen. Weiter im Gedränge zu den Warmhaltefolien. Wunderbar! Sofort wurde mir angenehmer. Links und rechts am Rand sah ich reihenweise Läufer sitzen, die sich erst mal erholen mußten. So weit war ich nicht, aber kurz davor. Dann kamen Mengen von Liegen auf denen sich die erschöpften Läuferinnen und Läufer massieren ließen. Weiter vorne sah ich jetzt einen Bierstand. Das wäre was! Wenn ich überhaupt etwas vertragen würde, wäre das ein Bier. Ich drängelte nach vorne und stellte mich an. Schon nach einer Minute war klar, daß die beim Ausschenken hoffnungslos überlastet waren. Ich fühlte, daß ich mich bewegen mußte, also weiter, ohne Bier. Jetzt spürte ich langsam "jeden Knochen" im Leib. Es war nicht mehr so eng, ich konnte etwas freier gehen. Da sah ich ein leeres dixi-WC. Die Warmhaltefolie mühselig links daneben auf dem Boden deponiert und rein.

Danach fühlte ich mich besser. Wieder die Folie umgelegt, weiter zur Kleiderausgabe und "meinen" Lastwagen gesucht. Bis die Jungs endlich meinen Kleiderbeutel gefunden hatten. Zum Glück kam eine Läuferin, die gelich auf den Lastwagen sprang, ihren, meinen und den ihres Mannes suchte und sofort fand. Weiter zu den Umkleidezelten. Zum Glück gab es da Feldbetten, auf die man sich setzen konnte, aber zum Unglück waren die Zelte gerammelt voll. Trotzdem drückte ich mich ächzend durch die Menge in Richtung einer freien Stelle und setzte mich erleichtert. Langsam, bedächtig zog ich mich um. Bücken und Aufstehen gingen nicht mehr gut. Auf das Duschen verzichtete ich bei dem Andrang.

Nach etwa zehn Minuten war ich wieder draußen. Mit den trockenen Klamotten am Leib fühlte ich mich gleich viel besser. Mühsam ging ich weiter, das Abrollen des Fußes ging einfach nicht schmerzfrei. Endlich war ich am vereinbarten Treffpunkt, beim Buchstaben U. Dort wollte ich mich mit dem Kollegen Udo Schade treffen. Uta wollte auch kommen. Schon wieder ein Gedränge und kein freies Plätzchen, auf das ich mich setzen konnte. Das konnte ja was werden. Ob ich da den Kollegen überhaupt finden würde. Nach zehn Minuten konnte ich mich endlich auf eine freie Stelle setzen. Nach weiteren fünf Minuten kam Uta. Noch eine Weile warteten wir und entschieden uns dann, nicht länger zu warten. Ich mußte unbedingt etwas trinken und essen.

Ganz in der Nähe war ein Kebab-Stand. Ich orderte ein Bier und einen Kebab. Als wir uns draußen hinsetzen wollten, begann es ganz leicht zu nieseln. Wir stellten die Stühle unter einen Baum und ich genoß mein Essen. Dann ging es wieder zurück nach Lichterfelde in unser Quartier.

Bereits im Laufe des Abends nahm meine Beweglichkeit wieder zu und ich konnte beinahe wieder schmerzfre gehen. Auch in der Nacht schlief ich prima.

Die Tage nach dem Lauf

Zwei Tage noch wollten wir Berlin erkunden, was wir dann auch ausgiebig taten. Ich war wieder voll mobil, so daß ich problemlos die vielen Straßen ablaufen konnte. Nach diesen zwei Tagen kannte ich Berlin bereits so gut, daß ich beim nächsten Lauf sicher mit viel mehr Gewinn teilnehmen kann.

Bereits am Dienstag meldete sich die Erkältung der vorigen Woche wieder. Mein Immunsystem war durch den Lauf so geschwächt, daß ich sie jetzt nicht mehr aufhalten konnte. Spielte aber auch keine Rolle mehr. Am Mittwoch ging es wieder zurück nach Stuttgart, zwar regnete es viel auf der Fahrt, dafür aber war wenig Verkehr und wir waren in guten fünf Stunden zuhause.

Noch ein paar Daten

Die Tabelle zeigt meine offiziellen Zwischenzeiten während des Laufes:

km
Zeit
5 km-Zeit
Km-Zeit
Puls
5 0:25:39 25:39 5:08 134
10 0:51:26 25:47 5:10 135
15 1:17:39 26:13 5:15 135
20 1:44:08 26:29 5:18 138
25 2:11:08 27:00 5:24 140
30 2:38:28 27:20 5:28 142
35 3:05:56 27:28 5:30 146
40 3:32:17 26:21 5:16 151
42,195 3:44:42 12:25 5:39 148

Mein Pulsverlauf während des Rennens:
Pulsdiagramm

Letzte Änderung:
13. August 2009

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