Zermatt-Marathon 2002

(Sonntag, 6. Juli)

Bilder vom Zermatt-Marathon   und vom   Matterhorn Lauf     direkt zum Laufbericht

Zermatt-Marathon - jetzt ist er übergeschnappt!

Für 2002 habe ich mich für den Schwäbischen Alb Marathon am 19. Oktober angemeldet. Der Lauf geht über 50 Kilometer mit 1.100 Höhenmetern. Für so einen Ultra-Marathon muß man einiges an Trainingskilometern haben, vor allem sollten einige lange Trainigsläufe deutlich länger als die üblichen 30 .. 35 Kilometer sein. So ein langer Lauf kann recht eintönig sein. Was liegt da näher, als ihn im Rahmen eines Marathons zu absolvieren, natürlich ganz langsam. Als solche langen Trainingsläufe habe ich bereits gebucht, den König-Ludwig-Marathon in Füssen (21.7.), den Koberstädter Wald-Marathon (25.8.), den ebm-Marathon (7.9.) und noch den Drei-Länder-Marathon am Bodensee (6.10.). Zusätzlich zu meinen normalen Trainingsläufen sollte das ausreichen.

Aber ich habe ja noch meinen Freund Bernhard aus Leiwen (nahe Trier) - und der ist immer für eine Überraschung gut! Schon seit März haben Ute und ich, zusammen mit ein paar Freunden, ein paar Tage im Tessin als Kurzurlaub geplant. Von Mittwoch 3.7. bis Sonntag 7.7. konnten wir in einer Wohnung in Ponta Tresa am Luganer See Quartier nehmen. Ganz unabhängig davon rief mich Bernhard ein paar Tage vorher an und fragte, ob ich nicht beim Zermatt Marathon am 6.7. mitmachen wollte. Ich habe von diesem Marathon noch nie etwas gehört, konnte ihn überhaupt nicht einschätzen. Erstmal meinte ich, daß ich da natürlich nicht teilnehmen könnte, da ich ja Urlaub im Tessin mache. Allerdings wollte ich auch in der Urlaubswoche einen langen Lauf machen. Und lag nicht Zermatt in der Nähe des Urlaubsortes? Also war ich nach dem Telefongespräch schon halb überzeugt, daß ich da teilnehmen könnte. Ich holte mir alle Informationen von der www-Seite des Zermatt Marathons (www.zermattmarathon.ch) und schaute mir auf der Landkarte an, wie man vom Luganer See nach Zermatt kommt. Das müßte in 3 Stunden zu schaffen sein. Der Lauf selbst war natürlich schon extrem: knapp 2.200 Meter Höhendifferenz und das Ziel auf 3.010 Meter. Das wäre wohl mehr als ein Trainingslauf. Aber es reizte mich, mal so eine Erfahrung zu machen und dann wird ja von Läufen, die nur hoch gehen und man kein Gefälle laufen muss, behauptet, dass man danach keinerlei Beschwerden hätte.

Nach einem Wochenende überlegen hatte ich mich entschieden und wollte mich dann am Montag (1.7.) anmelden, aber die Anmeldeseite war nicht mehr zu erreichen: Anmeldeschluß am 14.6. Jetzt war ich aber schon so auf den Lauf eingestellt, daß ich ein Mail an die angegebene Info-Adresse schickte und fragte, ob es noch irgend eine Möglichkeit gäbe, doch noch teilnehmen zu können. Schon 15 Minuten später die Antwort: "ja", wenn ich schnell meine persönlichen Daten schicke. Sofort habe ich das entsprechende Mail abgeschickt und 70 Minuten später kam ein Mail, daß ich in der Startliste mit der Nummer 1208 erfasst sei! Das nennt man Service und Kundenfreundlichkeit!

Vorbereitung

Da ich den Lauf nicht geplant hatte, war ich natürlich nicht vorbereitet. Einen Monat zuvor bin ich den Trollinger Marathon in Heilbronn gelaufen. Ansonsten baute ich auf meinen guten Trainingsstand und auf Bernhard. Der läuft zwar viele Marathons, die aber immer langsam, so daß ich mich an sein Tempo anschließen konnte. Die Tabelle gibt mein Training seither an:

Datum lange Läufe km-min/km-HF Wochen-km  
9.6. Trollinger-Marathon 42 68  
14.6. mit Lauftreff 22-6:10-116 58  
21.6. 5 Runden im Seewald 36-6:15-111 75 letzte 7km in 4:55
30.6. HM Stuttgart 21,1-4:33-155 61 persönliche Bestzeit 1:36:16!
letzte Woche Urlaub im Tessin -- 13  

Das Halbmarathon Rennen in Stuttgart war eine extreme Belastung. Am Tag danach hatte ich einen Muskelkater in den Oberschenkeln, wie schon seit undenklichen Zeiten nicht mehr. Hoffentlich konnte ich das in den fünf Tagen vor dem Marathon verarbeiten? Also tat ich nicht mehr sehr viel in dieser Woche.

Luganer SeeWie geplant reisten wir am Mittwoch (3.7.) an den Luganer See und ich konnte ganz unbeschwert zwei Tage faulenzen und Kräfte tanken.

Freitag, 5. Juli - Anreise zum Start

Panoramakarte der LaufstreckeIch hatte geplant, am Marathontag (Samstag) früh morgens gegen 4 Uhr los zu fahren, damit ich dann rechtzeitig in St. Niklaus (Start) meine Unterlagen abholen konnte. Das wäre in drei bis vier Stunden zu schaffen. Auf den Infoseiten wurde jedoch empfohlen, bereits am Taleingang in Visp (Rhône-Ebene) zu parken und mit der Bahn zum Startort (St. Niklaus) zu fahren. Parken und die Fahrt war für Läufer kostenlos. Wie häufig und wann genau aber die Bahn fuhr war nicht angegeben. Immer wieder schaute ich mir die Strecke vom Luganer See bis nach Visp an. Da gab es einige Unsicherheitsfaktoren, die die Fahrtzeit hätten verlängern können. Wenn unterwegs etwas dazwischen kam?

Im Laufe des Freitags entschloss ich mich dann, bereits am Abend zu fahren und in Visp im Auto zu übernachten. Gegen 23 Uhr fuhr ich dann los. Bis Locarno kein Problem. Dann aber brauchte ich beinahe eine Stunde, bis ich endlich die Straße nach Domodossola fand. Ewig kurvte ich im gleichen Bezirk umher. Die Beschilderung war katastrophal und zu allem Überfluß hatte es noch zu regnen begonnen. Die Namen auf den Straßenschildern fand ich nur teilweise auf der Karte, vor allem fehlten all die Orte, die auf meiner Route lagen. Erst um 1 Uhr war ich endlich auf der richtigen Straße. Es ging auf einer kurvigen, engen Straße durch eine wildromantische Schlucht (Centovalli). Ein Gewitter mit starken Regenfällen schränkte die Sicht so stark ein, daß ich nur langsam fahren konnte.

Endlich war ich vor Domodossola und mußte Richtung Simplon Pass abzweigen. Schon wieder fand ich kein vernünftiges Straßenschild, das die Straße zum Pass angab. Nur der Ort Sempione war angegeben. Diesen Ort fand ich aber auf meiner Karte nicht. Also nahm ich die vermuteten Abzweigung, in der Hoffnung, auf der richtigen Straße zu sein. Schon nach wenigen Kilometern war ich mir dann auch sicher, richtig zu sein. Auch der Ort Sempione war mir jetzt klar: das war eben die italienische Version von Simplon. Einigermaßen problemlos ging es dann über den Pass (2.006m) und hinunter ins Rhône Tal nach Brig. Das Stück nach Visp war jetzt nur noch ein Katzensprung.

Um 3 Uhr hatte ich das Auto auf einem einsamen Platz neben der Straße abgestellt und lag hinten drin auf meiner Luftmatratze. Wenigstens ein paar Stunden konnte ich so noch schlafen.

 

Samstag, 6. Juli - Marathontag

SchlafplatzUm 6:30 Uhr wurde ich vom Regen geweckt, der lautstark auf das Autodach trommelte. Oh je - das konnte ja was werden. Ein Marathon Lauf, der als einer der anstrengendsten Berg-Marathons überhaupt angekündigt war und dann noch Regen. Weiter oben würde es sicher schneien und dann noch die Kälte und die Anstrengung. Ich war tatsächlich ein paar Augenblicke in Versuchung, das Ganze bleiben zu lassen, aber wirklich nur ein paar Augenblicke. Dann raffte ich mich auf, eine Kapitulation durfte einfach nicht sein. Der Regen wurde schwächer und hörte dann ganz auf. Der Himmel jedoch sah immer noch finster aus. Ich stand auf, zog meine Laufklamotten an und normale Kleidung drüber.

Dann fuhr ich den Kilometer nach Visp zurück und ich fand auch problemlos zum Bahnhof. Kaum war ich aus dem Auto ausgestiegen, um nach dem vorgesehenen Parkplatz zu schauen, als ich von einem Läufer angesprochen wurde, der mir das Parkhaus zeigte und erklärte, was ich sonst noch zu tun hatte, damit ich keine Parkgebühren zahlen mußte und auch kostenlos mit der Bahn fahren konnte. Ich parkte das Auto, nahm meinen Kleiderbeutel mit allen wichtigen Utensilien mit. Am Bahnhofsschalter ließ ich mir den Parkschein freischalten , so daß ich am Abend auch ohne Bezahlung aus dem Parkhaus kam, die Startnummer genügte als Legitimation, auch für die Fahrt. Der nächste Zug fuhr um 7:34 Uhr. Noch über zwanzig Minuten Zeit. Irgendwie war ich wesentlich nervöser und aufgeregter als sonst, was sich bei mir immer ein wenig auf den Magen schlägt; trotzdem aß ich in der Bahnhofshalle mein Frühstück: Käseweck, Banane, Kekse, Apfelsaft.

In der Zwischenzeit waren jede Menge Läuferinnen und Läufer angekommen, die alle auch zum Lauf wollten und die jetzt den Bahnhof bevölkerten. Der Zug kam pünktlich und nach etwa einer halben Stunde Fahrt das Tal hoch Richtung Zermatt, waren wir in St. Niklaus. Das Info-Büro fand ich sofort, zahlte meine Startgebühr (Euro 56,-) und bekam meine Startnummer.

Das Info-Büro war in einer Schule untergebracht mit Umkleidemöglichkeiten und sanitären Einrichtungen. Hunderte Läuferinnen und Läufern wuselten durch die Räume, dehnten sich, ölten sich ein mit allem möglichen stinkenden (duftenden?) Zeug oder bereiteten sich innerlich auf den Lauf vor. Auch ich zog mich jetzt startbereit an: kurze Laufhose, Funktionsunterhemd, kurzärmliges Laufhemd. Dann packte ich meinen Kleiderbeutel und den Rucksack, den ich auf den Lauf mitnehmen wollte.

Zusammen mit vielen Läuferinnen und Läufern ging ich die paar hundert Meter durch den Ort zum Startbereich. Kurz kam ich dabei mit einem Mann in meinem Alter ins Gespräch. Welch ein Zufall, auch er stammte aus Zuffenhausen und war in die selbe Grundschule gegangen wie ich. Ein paar Minuten tauschten wir uns über unsere damaligen Lehrer aus. Er wünschte mir noch viel Glück. Heute sei er nur Begleitung und Betreuer, würde also selbst nicht laufen.

Im Startbereich gab ich den Kleiderbeutel ab. Den würde ich dann oben im Ziel bekommen, damit ich nach dem Zieleinlauf trockene Kleider hatte. Im kleinen Rucksack für unterwegs hatte ich meine warme Regenjacke, Fleece-Mütze und Handschuhe und für alle Fälle eine lange Hose. Meinen kleinen Photoapparat hatte ich in meinem Gürtel untergebracht, der normalerweise zum Transport einer Trinkflasche gedacht war. Ich war also überzeugt, recht ordentlich gegen widrige Witterung gerüstet zu sein. Glücklicherweise war es immer noch trocken, nur die Wolken dräuten, aber vielleicht würde es ja halten. Für den Nachmittag machte ich mir weniger Sorgen, da sollte es laut Wetterbericht besser werden.

Läuferinnen im StartbereichVon den etwa 1.200 gemeldeten Teilnehmern hatten sich genau 1.051 zum Start eingefunden und standen jetzt erwartungsfroh im Startgelände. Der Zermatt Marathon wurde das erste Mal ausgetragen und dann gleich so viele Teilnehmer! Tatsächlich fand ich dann auch Bernhard vor dem StartBernhard in der Menschenmenge. Er war mit Jens, einem Laufkameraden, angereist und hatte schon eine halbe Weltreise hinter sich. Sie waren beide ganz unbedarft in Trier gestartet, in Basel noch in der geplanten Zeit durchgekommen und hatten sich dann total verfranst. Schlußendlich kamen sie am Nordende des Lago Maggiore in Locarno heraus - 150 km zu weit westlich. (Kommt davon, wenn man, ohne in die Karte zu schauen von Trier nach Zermatt fahren will!) Von dort an waren sie dann die selbe Strecke wie ich gefahren, nur daß sie dazu nicht drei, wie ich, sondern fünf Stunden benötigten :-))). Nun ja, immerhin waren sie ja rechtzeitig angekommen ;-), waren aber jetzt bereits mehr als 24 Stunden ohne Schlaf!

Pünktlich um 9:07 Uhr fiel der Startschuss und die Menge setzte sich in Bewegung. Ein paar Meter ging es abwärts der Visp entlang, dann auf einer Brücke über den Fluß und nun kam die erste Steigung. Na ja, kein Problem, bis zur Halbmarathon Marke in Zermatt ging es nur insgesamt 500 m hoch. Als späteste Durchlaufzeit für Zermatt waren knapp drei Stunden angegeben, das sollte für uns zu schaffen sein, in Stuttgart hatte ich für die Halbmarathonstrecke 1:36 h benötigt. Selbst wenn wir eine Stunde länger brauchten, wäre das angegebene Limit kein Problem für uns. Auch Bernhard war optimistisch.

Läufer in St. NiklausGleich nach dem Start machte ich die ersten Bilder, während Bernhard vorauslief. Da ich einiges schneller war als er, würde ich ihn locker einholen. Ich lief den Anstieg durch den Ort, hielt immer mal wieder kurz an, machte ein Bild und lief weiter. Meine Pulsuhr gab die Geschwindigkeit vor: ich wollte so um die 120 Puls halten, wie bei meinen langen Trainingsläufen (max. Puls 177).

Nach einem Kilometer, kurz vor Ortsende, hatte ich Bernhard wieder eingeholt und wir liefen gemeinsam weiter. Bereits jetzt waren wir im letzten Fünftel und Bernhard atmete hörbar. Schneller ging also nicht. Die Strecke wurde jetzt einigermaßen eben und wir liefen mit etwa 7 Minuten pro Kilometer ein recht langsames Tempo. Immer wieder mal ging es kurz hoch und dann wieder eben. Alles war sozusagen im grünen Bereich, nur meine Oberschenkel signalisierten bereits jetzt die Belastung. Da hatte ich offensichtlich den schnellen Lauf vom Sonntag zuvor (Stuttgart HM) noch nicht ganz "verdaut". Man würde sehen!

Strecke neben der BahnEine Zeit lang ging es neben der Bahntrasse entlang und ab und zu überholte uns ein Zug. Wir unterhielten uns prächtig miteinander, auch kam man immer wieder mit einem Läufer, den man überholte oder der uns überholte, ins Gespräch. Jens war bereits kurz nach dem Start vorausgelaufen und ward nicht mehr gesehen. Die Landschaft war beeindruckend, wenigstens der Teil, den wir, trotz der dichten, niedrigen Wolkendecke, sahen. GebirgsbachDas Visp-Tal wird als das tiefste Tal der Schweiz bezeichnet, obwohl St. Niklaus bereits 1.000 m hoch lag. Tiefstes Tal wohl daher, weil die umgebenden Berge entsprechend hoch waren - im Ziel auf dem Gornergrat sollte man 29 viertausender Berge sehen und bereits hier säumten einige davon links und rechts das Tal. Obwohl die tiefliegenden Wolken die Sicht auf die Berge vollkommen verwehrten, konnte man aus dem Wenigen was man sah, die beeindruckende Landschaft erahnen. Immer wieder mal kam ein Gebirgsbach die Abhänge herunter und mündete in den Fluß (Visp), dem wir auf unserm Weg nach Zermatt zwangsläufig folgten.

Die ersten fünf Kilometer lagen hinter uns, und mit ca. 36 Minuten in einer gerade noch akzeptablen Zeit. Zwar langsamer als bei meinen langsamen Trainingsläufen, aber besser am Anfang vorsichtig, als nacher bei Kilometer 35 und nach 1.500 Höhenmetern schlapp zu machen. Heute spielte die Zeit überhaupt keine Rolle, nur Durchkommen und Erfahrung sammeln. Vor den 2.200 Höhenmetern hatte ich einen Heidenrespekt und die absolute Höhe von 3.000 Metern konnte ich überhaupt nicht einschätzen. Wie sich da wohl die die "dünne" Luft auf meine Leistungsfähigkeit auswirkte?

Wie befürchtet und vorhergesagt, hielt das Wetter nicht und es begann leicht zu regnen und dann stärker. Ich holte meine Mütze aus dem Rucksack. Die brauche ich bei Regen ganz dringend, da das Schild das Wasser von meiner Brille fern hält. Glücklicherweise ging der starke Regen bald in ein Nieseln über. Die Temperatur war mit vielleicht 13 Grad noch angenehm, so daß ich meine Regenjacke nicht brauchte und weiter "kurz" laufen konnte.

HöhenprofilLangsam begann jetzt das Gelände anspruchsvoller zu werden. Immer wieder kamen kräftige Anstiege, die wir so gar nicht erwartet hatten. Zwar war uns schon bewußt, daß bis Zermatt 500 Höhenmeter zu überwinden waren, auf dem Streckenprofil jedoch sah das schön gleichmäßig aus. Aber die Wirklichkeit sah anders aus. Nun ja, bei den steilern Anstiegen ging man eben und ansonsten joggte man. Um die Zeit kümmerten wir uns nicht, wir hatten uns keine vorgenommen :-).

Irgendwann zwischen Kilometer 8 und 10 ging es dann richtig heftig auf Waldwegen hoch. Ich fühlte mich an unsere Wanderung im Norden Kanadas erinnert, als wir während des Urlaubs 1997 eine 3-Tageswanderung dem Chilkoot-Trail entlang auf den Spuren der Goldgräber von 1897 machten. Die nächsten Kilometer waren wieder moderat.

Schon die ganze Zeit wunderten wir uns, warum wir Jens nicht einholten. Der war schnell losgelaufen und hatte offenbar das Tempo nicht vermindert. Bernhard unkte bereits, daß Jens bei seinem Trainingsstand dieses Tempo nicht durchhalten könne und befürchtete, daß er nicht ankommen würde. Tatsächlich trafen wir ihn bei Kilometer 13 am Wegesrand. Er hatte einen Schuh ausgezogen und meinte, daß er sich eine Blase gelaufen hätte. Bernhard ermahnte ihn, langsamer zu laufen, wenn er die Stelle abgeklebt hatte und vorbei waren wir.

Blick auf ZermattAb Kilometer 16 ging es dann stets bergauf, bergab, bis endlich Zermatt vor uns lag. Noch einen Kilometer und wir hatten die erste Hälfte hinter uns. Kurz hielten wir an der Verpflegungsstelle, aßen ein Stückchen Müsli-Riegel und tranken einen Becher Isogetränk.

Wir waren noch in der Zeit, aber viel Luft hatten wir nicht mehr. Als letzte mögliche Durchlaufzeit in Zermatt war 12 Uhr vorgesehen und jetzt war es bereits 11.50 Uhr. Da hatten wir aber deutlich mehr Zeit gebraucht, als geplant. Der Kilometerschnitt war mit 8 Minuten miserabel. Mir kamen erste Bedenken, ob wir die Strecke in der angegebenen Zeit schaffen würden. Bernhard war optimistisch, aber er hatte eben die Unterlagen nicht angeschaut und wußte von den weitern Durchgangszeiten nichts, kannte nur die spätest mögliche Zieleinlaufzeit mit 16.45 Uhr und das bedeutete für ihn, dass wir ja noch beinahe 5 Stunden für die zweite Hälfte hatten. Die 1.700 Höhenmeter ignorierte er dabei. Aber wie gesagt, auch ab Zermatt kamen noch ein paar Zwischenstationen, an denen auch noch Durchlaufzeiten einzuhalten waren. Systematisch, wie ich nun mal bin, hatte ich mir die Verpflegungstellen, das Höhenprofil und die Durchgangszeiten auf einem kleinen Zettel vermerkt, blöderweise aber diesen Zettel irgendwie verlegt und auswendig wusste ich die Zeiten nicht. Sorgen machen aber half auch nicht!

Durch ZermattGemeinsam liefen wir in Zermatt ein. Obwohl wir jetzt bereits zu den Läufern ganz am Ende gehörten, säumten immer noch viele Zuschauer die Strecke durch den Ort. Unglaublich viele Japaner waren darunter, die uns auch ganz freundlich mit viel Beifall anspornten. Ich machte ein paar Bilder, hatte aber so klamme Finger, daß ich den Apparat kaum bedienen konnte. Immer wieder hatte es genieselt, es war kälter geworden und die Nässe an den Händen hatte ihr übriges getan.

Den Bogen, der den Halbmarathondurchgang markierte, hatten wir fünf Minuten vor der spätest möglichen Durchgangszeit passiert. Es ging jetzt nach links, die Kirche ließen wir rechts liegen, den Friedhof links, überquerten die Visp und liefen langsam aus Zermatt hinaus. Die Straße wurde zunehmend steiler, auf den nächsten sechs Kilometern mußten ca. 600 Höhenmeter überwunden werden und daher war jetzt Gehen angesagt. Ich schloß mich einem Läufer an, der ein ganz flottes Tempo vorlegte. Mein Begleiter stellte sich als erfahrener Bergläufer heraus, der schon viele Marathons in den Bergen absolviert hatte. Er war zwar nicht überaus gesprächig, aber mit Nachfragen erhielt man doch einige Informationen. Der Liechtenstein Marathon sei schön, aber auch sehr anstrengend. Der Jungfrau Marathon einfach ein Muss und in Davos beim 78 Km Lauf hatte er auch schon mehrmals teilgenommen.

Die Straße führte in Serpentinen hoch. Mein Puls pendelte sich während des Gehens auf etwa 120 ein. Das Gehtempo war immer noch flott und Bernhard schon weit zurückgefallen, so daß ich ihn jetzt nicht mehr sehen konnte. Mein Mitläufer hatte eine Polar 710S, das Top-Modell von Polar mit Höhenmesser. An Hand seiner Höhenangaben konnten wir in etwa feststellen, welche Strecke wir bereits zurückgelegt hatten. So etwa 3-4 Kilometer waren wir schon zusammen gelaufen. Der Regen hatte gänzlich aufgehört, mein Hemd war wieder einigermaßen abgetrocknet, aber die Temperaturen waren deutlich gefallen. Trotz der Anstrengungen hatte ich immer noch kalte Hände. Ich holte meine Handschuhe aus dem Rucksack. Mein Mitläufer hielt konstant sein Gehtempo die Straße hinauf. Ich wurde unmerklich etwas langsamer und fiel zurück.

Schon seit einiger Zeit war mir ein Läufer vor uns aufgefallen. Er war etwas langsamer und bald hatte ich ihn eingeholt. Er trug das Laufhemd vom diesjährigen Stuttgart Halbmarathon - aha, ein Stuttgarter! Ich fragte ihn nach seiner Zeit in Stuttgart: 1:45 h. Knapp neun Minuten langsamer als ich. Also war es auch ganz natürlich, daß ich ihn überholte, so dachte ich wenigstens. Ich wunderte mich über seine Kleidung. Lange Laufhose, kurzärmliges Laufhemd, nichts darunter und sonst nichts, kein Rucksack, keine Jacke, nichts! Dem mußte doch kalt sein und noch kälter werden mit zunehmender Höhe. Wehe, wenn es dann auch noch schneien würde. Ich sprach ihn darauf an. Sofort begann er zu erzählen. Der Junge konnte unablässig reden und unterhielt mich dann auch bestens auf den nächsten Kilometern.

Als er am Freitag in Stuttgart losgefahren sei, sei schönstes Wetter gewesen. Wer könne denn ahnen, daß das Wetter so schlecht werden würde! Ich wandte zaghaft ein, daß das im Gebirge nicht so selten sei. Ja, das wisse er jetzt auch und beim nächsten Lauf würde er sich besser ausstatten. Vor drei Wochen noch sei er den Liechtenstein Marathon gelaufen und da war das Wetter gut. Heute sei er erkältet und deshalb nicht richtig in Form. Tatsächlich klang seine Stimme etwas belegt. Ich sprach ihn auf seine Halbmarathon Zeit an. Der Lauf in Stuttgart war wohl sein schnellster Lauf bisher. Da er in der Klasse M45 lief, also 10 Jahre jünger war als ich, wunderte ich mich über seine langsamen Zeiten. Sofort sprudelte es wieder aus ihm heraus, daß er ständig krank sei nach einem Lauf. Nach dem Liechtenstein Marathon z.B. hätte er 14 Tage lang Angina gehabt. Und dann der Stuttgart Lauf und jetzt sei er schon wieder krank. Irgend etwas machte der Junge falsch, kein Wunder, daß seine Zeiten nicht besser wurden.

Schon seit einiger Zeit war die Strecke flacher und wir joggten, unterhielten uns aber prächtig, d.h. er redete eben und ich gab ihm ab und zu ein Stichwort. Beim Liechtenstein Marathon hätte er bei Kilometer 38 mit Krämpfen in den Beinen neben der Strecke gelegen und wäre nicht mehr weiter gekommen. Kein Mensch hätte sich um ihn gekümmert oder wäre gar den Kilometer zurück zum Streckenposten gegangen und gemeldet, daß da jemand liegt, der nicht mehr weiter kann und zurück gebracht werden möchte. Alle seien sie an ihm vorbei gelaufen. Wohl oder übel sei er dann beinahe 20 Minuten da hilflos gelegen, bis er endlich wieder aufstehen konnte. Dann aber sei er weiter ins Ziel gelaufen, das er nach 6:59 h erreicht hat. Und heute gehe es ihm schon wieder so übel, daß er gar am Durchkommen zweifle.

Immer wieder mal mußten wir wegen einer kleinen Steigung gehen, um anschließend wieder zu joggen. Wir waren inzwischen auf einer Höhe von 2.250 m und es nieselte, bzw. wir waren in den Wolken. Meine Hände waren mollig warm und trotz kurzer Ärmel und kurzer Laufhose war mir nicht kalt. Mein "Stuttgarter" hatte wohl schon einige Zeit ganz neidisch auf meine Handschuhe geschaut, denn er fragte mich plötzlich, ob er sie nicht eine Zeit lang haben könne. Ich wollte den armen Kerl nicht im Stich lassen und gab sie ihm daher. Er hatte schon so klamme, steife Hände, daß er sie kaum mehr über die nassen Hände ziehen konnte, obwohl es Fäustlinge waren. Schon nach wenigen Metern war mir klar, daß jetzt ich die kalten Hände bekommen würde. Also holte ich meine Jacke aus dem Rucksack, zog sie an und ließ meine Hände zum Schutz in den Ärmeln.

Mein Laufpartner erzählte weiter, wie er zu seiner Übernachtung hier in der Gegend gekommen sei, wie er den Preis heruntergehandelt hatte und haderte ständig über alle möglichen Widrigkeiten. Der Regen war jetzt wieder stärker geworden und meine Hände wurden, trotz der schützenden Ärmel, immer kälter. Wenn ich nur meine Handschuhe anziehen könnte! Aber mein "Stuttgarter" machte keinerlei Anstalten, sie mir wieder zurück zu geben und ich wollte sie ihm nicht einfach abverlangen. Immer wieder fluchte er über seine Erkältung, das miese Wetter und die Anstrengung. Gemeinsam einigten wir uns, daß es gar nicht gut sei, mit einer Erkältung zu laufen. Überhaupt sei es gefährlich, mit Fieber zu laufen, das könne aufs Herz gehen, erklärte ich ihm. Ja, das wisse er und heute nacht sei er schweißgebadet im Bett gelegen. Ich versuchte ihn also zum Aufgeben zu überreden, denn dann hätte ich ja meine Handschuhe wieder bekommen :-))). Aber davon wollte er gar nichts wissen. Er wolle jetzt schon probieren, das Ziel zu erreichen. Handschuhe ade :-(.

Bernhard war weit hinter uns und ich wollte langsamer machen, damit er wieder aufschließen konnte. Von einer Rückgabe der Handschuhe war immer noch keine Rede, im Gegenteil, wenn ich jetzt zurückbleiben würde, irgendwie würden wir uns im Ziel schon treffen, meinte er, da könne er mir ja die Handschuhe zurückgeben. Ok - was sollte ich machen. Die Handschuhe waren offensichtlich schon in seinem festen Besitz. Er fragte gar nicht, ob ich sie benötigte, sondern ging ganz selbstverständlich davon aus, daß sie ihm jetzt bis ins Ziel zuständen. Tatsächlich ging es mir ja etwas besser als ihm, da ich wenigstens eine Jacke hatte und er nur ein dünnes, kurzärmliges Hemd und das bei diesen Witterungsbedingungen!

Die Handschuhe hatte ich also abgeschrieben, er lief weiter, ich lief langsam, camit Bernhard aufschließen konnte und hatte kalte Hände. Fotografieren konnte ich nicht mehr. Selbst wenn ich das Gerät noch hätte aus der Halterung ziehen können, den Auslöser hätte ich nicht mehr betätigen können. Schon länger waren die Ärmel der Jacke durchnässt bis innen, so daß sie keinen guten Schutz mehr abgaben. Meine Hände waren so kalt und steif, daß ich den Fotoapparat hätte nicht mehr bedienen können. Konditionsmäßig ging es mir noch sehr gut, aber die schmerzenden Hände belasteten meine Moral.

Der Kilometerschnitt war deutlich schlechter geworden. Für die 10 Kilometer seit Zermatt hatte ich 1:40 h gebraucht, ein Schnitt von 10 min/km! Elendiglich schlecht, miserabel! Bernhard hatte aufgeschlossen und gemeinsam gingen wir weiter. Zur Dokumentation hat er seit neuestem bei seinen Marathonläufen ein kleines Diktiergerät bei sich. Darauf hatte er immer wieder ein paar Kommentare gesprochen. Auf Grund der Kälte und Nässe, vielleicht auch wegen schwacher Battereien, war es jetzt aber ausgefallen. Ich verstaute es in seinem Rucksack und gab ihm seine erste Flasche "Red Kick", ein Getränk, dem er leistungssteigernde Wirkung zuschreibt. Ich selbst fühlte mich noch fit und brauchte sowas nicht.

Die Baumgrenze hatten wir längst schon überschritten und es ging leicht abwärts auf typischen steinigen Wanderwegen. Dort wo Erde war, war sie durch den Regen und die vielen hundert Füße der Läufer vor uns matschig und rutschig geworden. Wir waren auf eine Läuferin aus Zürich aufgelaufen und liefen ein Stück gemeinsam. Bernhard half ihr immer wieder an besonders glitschigen Stellen. Die Beiden liefen mir zu langsam und ich setzte mich wieder ab. Meine Hände schmerzten immer stärker. Ich holte meine Fleece-Mütze aus dem Rucksack und wickelte sie um meine rechte Hand, so daß wenigstens eine Hand warm wurde. Nützte natürlich nicht sofort etwas, aber ich hoffte und alleine der Gedanke an eine warme Hand besserte meine Moral.

Die Strecke war jetzt gut zu laufen, verlief eben oder ging leicht bergab, so daß ich zwei, drei Kilometer joggend hinter mich brachte. Bernhard und die Schweizerin waren bereits wieder außer Sichtweite und ich lief so vor mich hin. Die rechte Hand wurde nicht wärmer, aber auch nicht kälter. Da kam die nächste Vepflegungsstelle (Sunnegga, km 29) über mir in Sicht. Noch ein paar hundert Meter steil hoch, dann war ich an den Tischen. Aus den vergessenen Unterlagen wußte ich noch, daß es an einigen Verpflegungsstellen auch Bouillon gab. Ich hoffte, daß es hier eine gab und sie warm wäre. Tatsächlich! man hatte welche in einem Isolierbehälter, so daß sie noch so warm war, daß man sie gerade noch trinken konnte. Ich holte einen Becher, wärmte meine Hände daran und ließ mir noch zwei Mal nachschenken.

Die Helfer hier hatten einiges auszuhalten. Regen, Niesel und jetzt Nebel. Wir Läufer waren wenigstens in Bewegung, aber die standen da schon mehrere Stunden in der Kälte. Trotzdem waren sie freundlich und hilfsbereit. Sie berichteten, dass es bis vor kurzem noch geschneit hätte. Ich fragte nach einem Läufer mit kurzärmligem, weißen Hemd und Handschuhen (meine ;-)). Sie erinnerten sich, daß da einer vor Kurzem durchgekommen war. Aber groß aufgefallen war er nicht. Vermutlich waren schon genügend mit so unzulänglicher Kleidung vorbei gekommen. Dann nahm ich noch ein Stück Power Bar und wollte schon weiter. Da fiel mir Bernhard ein und ich drehte um, um auf ihn zu warten.

(Zu Hause wertete ich meine Pulsuhrdaten aus. In Sunnegga waren wir gegen 13:50 Uhr. Als späteste Durchgangszeit war 14:15 Uhr angegeben. Wir waren also noch recht gut in der Zeit und hatten sogar wieder etwas aufgeholt. Das alles wusste ich aber aus besagten Gründen damals nicht.)

Bernhard auf SunneggaSchon nach ein paar Minuten tauchte er aus dem Nebel auf und fragte auch sofort nach der Bouillon. Während er trank unterhielten wir uns ein wenig. Die Schweizerin hatte er hinter sich gelassen. Bei den rutschigen Stellen hatte er ihr noch geholfen, auch sein Red Kick mit ihr geteilt und war ihr dann "enteilt". Nach kurzem Aufenthalt gingen wir weiter. Erst wieder hundert Meter steil bergab und dann flach.

Bei Kilometer 36 kam das Hotel Riffelalp in Sicht. Als wir vorbeiliefen kam eine Frau aus dem Gebäude, ein Funkgerät in der Hand - offensichtlich ein Streckenposten. Während wir vorbeiliefen fragte sie uns, ob wir aussteigen wollten. Uns beiden ging es noch bestens, so daß wir beinahe entrüstet verneinten. Dann müssten wir uns aber beeilen. Wenn wir die nächsten 800 Höhenmeter nicht in 50 Minuten schafften, dann würde man uns aus dem Rennen nehmen! Uns fuhr der Schreck in die Glieder. Bei der Verpflegungsstelle kurz danach hielten wir uns nur ganz kurz auf und liefen sofort weiter.

(Die Auswertung zu Hause ergab unsere Zeit beim Hotel Riffelalp (km 36) mit etwa 15:10 Uhr, genau die angegebene spätest mögliche Durchgangzeit. Da hatten wir auf den leicht abschüssigen letzten sechs Kilometern unnötig getrödelt. Im Nachhinein betrachtet hatten wir großes Glück. Die Frau hatte keinen besonders kulanten Eindruck gemacht und hätte uns sicher aus dem Rennen genommen, wenn wir etwas später dran gewesen wären.)

Der schwerste Teil des Laufes begann. Zwar hatte sich die gute Frau mit ihren Zahlen vertan, denn es waren insgesamt nur noch 660 Höhenmeter auf den letzten knapp sechs Kilometern, aber die hatten es in sich und übrigens kannten wir die Höhe nicht so genau. Wenn man überhaupt etwas am Lauf und seiner Organisation bemängeln wollte, dann die Ausschilderung. Nur alle fünf Kilometer gab es eine Kilometermarke, die Höhe wurde überhaupt nicht angegeben. Man war also einigermaßen orientierungslos.

Steil ging es nach oben und ich schlug sofort einen flotten Gehschritt an. Das wäre ja noch schöner, mich aus dem Rennen nehmen! Das wäre das erste mal, dass ich einen Lauf nicht zu Ende bringen würde. Ich war jetzt echt besorgt und wollte so schnell gehen, wie es die Strecke erlaubte. Meine Kräfte reichten problemlos, ich fühlte mich noch total fit und wollte auf keinen Fall aus dem Rennen genommen werden. Langsam, aber ständig ließ ich Bernhard hinter mir. Das wäre ja noch schöner, aus dem Rennen genommen zu werden! Der guten Frau würde ich es schon zeigen.

Die Strecke verlief jetzt neben der Trasse der Bergbahn und man hätte einen schönen Blick auf die Berge gehabt - bei besserem Wetter! Wenigsten hatte der Regen aufgehört, der Nebel hatte sich verzogen und tatsächlich konnte man ab und zu etwas weiter sehen. Das flotte Gehen hatte meinen Körper aufgewärmt. Vermutlich war es auch etwas wärmer geworden, auf jeden Fall hatte ich warme Hände und brauchte weder Fleece-Mütze, noch musste ich meine Hände in den Ärmeln lassen. Ich marschierte weiter nach oben auf dem breiten, steilen Weg neben der Bahntrasse und hatte doch tatsächlich bald den "Stuttgarter"Stuttgarter mit handschuhen eingeholt. Meine Handschuhe hatte er immer noch an den Händen. Aber offensichtlich war ihm jetzt auch warm geworden, denn er gab sie mir mit dem Kommentar zurück: "Die brauche ich jetzt nicht mehr." Mit dem Danken hatte er es nicht besonders. Auch als wir oben im Ziel waren, verlor er kein Wort darüber. Das selbstlose Ausleihen war für ihn offensichtlich so selbstverständlich, dass er das wohl als sein Recht ansah und nur zu vornehm war, das auch so auszudrücken. Aber dem Jungen konnte man nicht böse sein. Es war ein typisch "bruddeliger" Schwabe, in seiner Art durchaus sympathisch. Vermutlich hätte er dasselbe für mich getan. Ich packte also die nassen Dinger wieder in meinen Rucksack und wir gingen gemeinsam in flottem Tempo immer höher.

Wir ließen die 40-km-Marke hinter uns. Ganz sicher hatte ich mehr als 20 Minuten wieder gut gemacht, das sah ich aus der Zeit, die ich bis hierher benötigt hatte. Mir war wieder wohler zumute. Das aus dem Rennen Nehmen hatte ich wohl abgewendet. Erstaunlicherweise kam jetzt mein Begleiter immer besser zurecht und ich immer schlechter. Der Weg war wieder zu einem typischen Berggpfad geworden. Man konnte nicht mehr gehen, sondern mußte über Steine nach oben steigen, dem Treppensteigen vergleichbar, nur daß hier die Stufen nicht gleichmäßig waren und man seinen Pfad suchen mußte. Wenn da nicht immer wieder Fähnchen in der Erde gesteckt hätten, wären wir sicher vom "Weg" abgekommen. Vor uns waren kaum noch Läufer.

Bis jetzt hatte ich mich noch gut gefühlt und meinte auch, noch genügend Kräfte in den Oberschenkeln zu haben, aber die dünne Luft machte sich bemerkbar. Die Feuchtigkeit nahm zu, ab und zu lag noch Schnee auf der Erde und es wurde wieder kälter, zumindest wurden meine Hände kälter. Im Nachhinein erfuhr ich, daß die Spitzengruppe hier im Schneetreiben laufen mußte. Im Zielbereich hatte es einige Zentimeter Schnee hingeworfen.

Ich mußte immer langsamer gehen. Sobald ich eine Stufe zu schnell nahm, wurde mir schwindlig und ich bemerkte ganz im Innern eine leichte Übelkeit. Also blieb ich jeweils kurz für eine Sekunde stehen, oder ich machte den Schritt noch langsamer und alles war in bester Ordnung. Ich glaube, ich war noch nie so an meinen körperlichen Grenzen, wie auf diesen letzten 2 Kilometern. Meine Hände waren jetzt wieder so kalt wie vorher und schmerzten.

(In der Tat benötigte ich für die letzten zwei Kilometer mit knapp 300 Höhenmetern etwa 50 Minuten! Ein erstaunlich schlechter Kilometerschnitt. Mein ganzes Zeitpolster schmolz wieder dahin.)

Bernhard hatte ich in den letzten 50 Minuten weit hinter mir gelassen, aber plötzlich war er wieder unter mir zu sehen. Zwar noch deutlich hinter mir, aber er kam näher. Der Stuttgarter vor mir setzte sich ab und Bernhard näherte sich von hinten. Kurz vor dem Ziel hatte er mich erreicht und wir gingen gemeinsam weiter. Ich beklagte mich ein wenig über meinen miserablen Zustand und er bot mir sofort an, mir die letzten paar hundert Meter noch zu helfen. Aber es wurde flacher, das Ziel konnte man schon erkennen und ich konnte schlagartig wieder flotter marschieren.

Hand in Hand mit erhobenen Händen kamen wir wir ins Ziel - 7 Stunden 45 Minuten :-(. - hinter uns kamen nur noch zwei Männer und eine Frau! Verglichen mit der Siegerzeit von 3:34:29 h eine miserable Zeit, wir aber waren überglücklich und auch stolz, es geschafft zu haben.

Das Ziel war in einem großen Zelt, vor allem wohl auch, um die Helfer vor der Witterung zu schützen. Gerade hatten sie begonnen, die Lautsprecher abzubauen, aber man nahm uns doch noch unseren Barcode zur Zeitmessung ab, obwohl wir die Schlußzeit im Ziel (16:45 Uhr) um einige Minuten überschritten hatten. Da hatten wir ja nochmal Glück gehabt! Man überreichte uns das Finisher-Shirt, die Medaille und wir konnten im Zelt noch etwas trinken und essen.

Beide waren wir uns noch in diesen ersten Minuten nach dem Zieleinlauf einig, dass dieser Lauf ein ganz einmaliges Erlebnis war. Wir waren stolz auf unsere Leistung, auch wenn wir die Letzten waren. Für mich war sofort klar, daß ich am 5. Juli nächstes Jahr wieder dabei bin und auch Bernhard hatte spontan dieselbe Idee. Es war ein unvergleichlicher Marathon-Lauf, der selbst durch das niederträchtige Wetter nicht geschmälert wurde - im Gegenteil!

Direkt nach uns kam ein älterer Läufer ins Ziel. Den hatten wir schon ein paar Kilometer nach dem Start getroffen und auch immer wieder unterwegs, mal hatten wir ihn überholt, dann er wieder uns. Seine ersten Worte noch im Ziel waren: "Nie wieder!" Wir konfrontierten ihn mit unserer Meinung, aber er beharrte: "100 km von Biel - nie wieder, einen anderen Lauf (hab vergessen welchen) - nie wieder, Zermatt-Marathon - nie wieder!"

Bernhard im Ziel
Nnach dem Zieleinlauf

Wir verließen das Ziel-Zelt und machten Bilder von uns. Währenddessen kam ein Hubschrauber und holte einen Läufer ab, der offensichtlich im Zielbereich zusammengebrochen war. Näheres war aber nicht zu erfahren. Mein "Stuttgarter" kam auch zu uns und meinte in seiner unnachahmlichen Art: "Du wolltest mir doch das Bild schicken, das du unterwegs gemacht hast. Hast du was zum Schreiben, um meine Adresse zu notieren?" Ich erinnerte mich überhaupt nicht, daß ich ihm das Bild schicken wollte. Da hat er wohl Ursache und Wirkung verwechselt. Zum Schreiben hatte ich natürlich nichts dabei. Der traute mir offensichtlich jeden Blödsinn zu. Mir fiel jedoch ein, daß die Adresse auf der Startnummer aufgedruckt war. Ich riss sie ab und versprach ihm, sie mitzunehmen.

Wir gingen in das nächste, noch größere Zelt. Beheizt! Viele Biertische und Bänke. Da konnte man alles bekommen. Gebratene Hähnchen, Pommes, Gulaschsuppe, Salat, ... Viele Leute waren nicht mehr da und wir verzogen uns erst mal in den Umziehbereich, holten unsere Kleiderbeutel und zogen uns um. Langsam bekam ich wieder warme Finger. Dann ging es zur Verpflegung. Für jeden ein Bier, ich aß eine Gulaschsuppe und gemeinsam verspeisten wir noch eine Portion Pommes.

Die Haltestelle der Bergbahn war wenige Meter vor dem Zelt. Gegen 17:40 Uhr fuhren wir auf der spektakulären Strecke hinunter nach Zermatt. Das Wetter wurde zunehmend besser und ich hatte tatsächlich die Hoffnung, doch noch den schönsten Berg der Welt zu sehen. Aber so weit konnte sich der Wettergott dann doch nicht erbarmen.

Von Zermatt ging es mit der normalen Bahn zurück nach St. Niklaus. Gegen 19:30 Uhr waren wir am Auto von Bernhard und trafen auch sofort Jens, der lange auf uns gewartet hatte. Das Problem mit seiner Blase am Fuß hatte sich erledigt, nachdem er die Stelle abgeklebt hatte. Trotzdem mußte er bei etwa Kilometer 26 aufgeben, weil einfach seine Kondition nicht ausreichte. Ich fuhr mit den beiden bis zu meinem Auto in Visp. Sie wollten unmittelbar ohne Rast weiter nach Trier und ich fuhr zurück an den Luganer See. Jetzt kannte ich die Strecke, das Wetter war gut und gegen 23 Uhr war ich wieder in unserer Ferienwohnung am Luganer See.

Mit jedem Tag, an dem ich Abstand zu dem Lauf bekam, wurde mein spontaner Eindruck nach dem Zieleinlauf verstärkt. Ein Stadtmarathon ist nichts gegen das unvergleichliche Erlebnis, in den Bergen zu laufen. Ganz sicher war das nicht mein letzter Berglauf. Gott sei Dank gibt es ja genügend Auswahl: Jungfrau, Swiss Alpin, Liechtenstein, ...

Nachklapp

MatterhornEin Jahr lang wollte ich nicht warten, bis ich das Matterhorn und die versprochenen 29 Viertausender sehen konnte. Glücklicherweise gab es ja noch den Matterhorn-Lauf sechs Wochen später. Ich meldete mich an, Egbert war spontan bereit, auch mitzulaufen und am 18. August war es soweit. Wir fuhren über Zürich, Furkapass Brig und dann das Visp-Tal bis Täsch. Dort übernachteten wir auf den Campingplatz Attermatten am Ortseingang. Am nächsten Morgen (Samstag) fuhren wir mit dem Bus-Taxi nach Zermatt. Erst mal organisierten wir unsere Startunterlagen und schauten Monte Rosa, Liskamm, Castor, Polluxuns Zermatt an - wirklich sehenswert. Dann entschlossen wir uns, auf den Gornergrat zu fahren. Das war das Ziel beim Zermatt Marathon. Bei schönstem Wetter fuhren wir mit der Bahn hoch auf 3.100 Meter. Das Matterhorn und alle versprochenen Viertausender lagen vor uns. Unglaublich! Ganz sicher mache ich da mal ein paar Tage Urlaub und wandere einige der Strecken.

Der Autor unterwegsAm Sonntag dann war dann der Lauf. Von Zermatt (1.600 Meter) ging es hoch auf die Seealp (2.500 Meter): 14,3 km, 1.000 Höhenmeter. Wunderbarer Lauf, herrliche Strecke in schönster Landschaft, bei Bilderbuchwetter. Die Wochen zuvor hatte ich ein paar mal in Balingen Bergläufe trainiert, was sich gut auswirkte: mit meiner Zeit von 1:59:27 h war ich sehr zufrieden. Egbert benötigte 1:36 h, der Sieger 1:02 h.

Gegangen bin ich diesmal nur bei den steilen Rampen, ansonsten alles gerannt. Ab Kilometer sechs habe ich nur noch überholt, dutzende Läufer und Läuferinnen ließ ich hinter mir. Ein erster Anfang in den Bergen war gemacht. Zwar war ich im Gesamtfeld und auch in meiner Altersklasse immer noch im letzten Drittel, aber das lässt sich ganz sicher noch verbessern und ganz klar ist jetzt - 2003 wird das Jahr der Bergläufe!

Bilder vom    Zermatt-Marathon   und vom   Matterhorn Lauf      an den Anfang

Letzte Änderung:
13. August 2009

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